Wurde Deniz Poyraz vor ihrer Erschießung gefoltert? Diesen Verdacht erhebt nun die Juristin Türkan Aslan von der Rechtskommission der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Laut Aslan habe der Körper der 38-Jährigen neben Einschusswunden auch mehrere Schnitt- und Stichwunden an Kopf und beiden Beinen sowie anderweitige Verletzungen aufgewiesen. „Die Rechtsmediziner am Tatort konnten uns zunächst nicht sagen, auf welche Art und Weise sich Deniz Poyraz diese Verletzungen zugezogen hat. Wir glauben, dass sie gefoltert worden ist. Der Autopsiebericht liegt bisher noch nicht vor.“ Zudem habe die Polizei bei der Spurensicherung „kräftig geschlampt“, sagt Aslan.
Deniz Poyraz war vergangene Woche Donnerstag bei einem faschistisch motivierten Anschlag in der rund um die Uhr von der Polizei überwachten HDP-Zentrale in Izmir getötet worden. Die Ermittler, die nach dem Tod der Kurdin Beweismittel einsammelten, hätten es versäumt, die Tasche des Täters Onur Gencer samt Inhalt zu untersuchen, sagt Rechtsanwältin Aslan. Lediglich zwei Messer, die am Körper des Mannes gefunden wurden, tauchten im Protokoll der Beweissicherung auf. „Allerdings sind diese Messer nicht auf DNA-Spuren untersucht worden. Wir fordern die Behörden auf, dies umgehend nachzuholen“, so die Juristin. „Wir haben am 21. Juni bei der zuständigen Staatsanwaltschaft einen Antrag auf gewissenhafte Durchführung der Ermittlungen eingereicht. Denn auch eine der Patronenhülsen ist erst nach unserer Aufforderung, den Tatort ein zweites Mal zu untersuchen, gefunden worden. Ein Einschussloch in einer Wand wurde von den Kriminaltechnikern übersehen.“
Die HDP geht nach wie vor von einem „organisierten Anschlag“ aus, in den staatliche Stellen involviert seien. Am Tag des Attentats sollte eine Vorstandssitzung mit etwa vierzig Personen stattfinden, die kurzfristig verschoben wurde. Gencer, der nach seiner Festnahme von Polizisten mit „lieber Bruder“ angesprochen und freundlich vom Tatort geleitet worden war, gab bei seiner Vernehmung an, mit weiteren HDP-Mitgliedern in dem Gebäude gerechnet zu haben, die er ebenfalls habe töten wollen. Im Vorstand des Thermal-Hotels in Balçova, wo der angeblich „arbeitslose“ Gencer regelmäßig eincheckte, sitzen der Provinzgouverneur von Izmir sowie dessen drei Stellvertreter.
Bilder auf seiner Facebook-Seite zeigen den bekennenden Anhänger der ultranationalistischen Grauen Wölfe vor einer türkischen Fahne, die Finger der rechten Hand zum sogenannten Wolfsgruß gespreizt. Für andere Bilder ließ sich der 27-Jährige mit einem Sturmgewehr bewaffnet in einer mit Sandsäcken befestigten Stellung bei Minbic in Nordsyrien ablichten. Während Gencer angab, als Mediziner in der Region gewesen zu sein, enthüllte die HDP-Abgeordnete Hüda Kaya kürzlich, dass der Mann in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien von der Söldneragentur SADAT militärisch ausgebildet wurde. Der türkische Söldnerkonzern fungiert als Tarnfirma zur Verlegung von Dschihadistentruppen aus Syrien nach Kurdistan, Libyen, Aserbaidschan bis in den Libanon.
Titelfoto: Medienkollektiv Linksunten Göttingen