Die durch Schüsse aus der Waffe eines türkischen Faschisten in Izmir getötete HDP-Aktivistin Deniz Poyraz ist von insgesamt sechs Kugeln getroffen worden. Das geht aus dem Tatortbefundbericht der Polizei hervor, den die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) einsehen konnte. Vier Schüsse trafen die 38-jährige Kurdin im linken Bein, eine am Kopf und eine weitere Kugel traf den rechten Unterschenkel. Deniz Poyraz war am Donnerstag bei einem Anschlag auf die rund um die Uhr von der Polizei überwachten HDP-Zentrale in Izmir ermordet worden.
Wie MA aus dem Tatortbefundbericht weiter zitiert, hat der 27 Jahre alte Täter Onur Gencer unter anderem die verschlossene Tür des Büros der Ko-Vorsitzenden des HDP-Provinzverbands durch Schüsse auf das Schloss entriegelt. Anschließend wurden der Raum und weitere Büros verwüstet, alle Fensterscheiben sind zerbrochen worden. Einen weiteren Schuss gab der Faschist auf ein Bild der inhaftierten kurdischen Politikerin Sebahat Tuncel ab. Die Obduktion der Leiche von Deniz Poyraz ist derweil abgeschlossen. Wann das rechtsmedizinische Institut Izmir seinen Bericht über die Ergebnisse der Obduktion vorlegen wird, ist noch unklar.
Täter wollte seit Kindheit „PKK-Mitglieder“ töten
Unterdessen werden immer mehr Informationen über den Täter bekannt. Schon seit seiner Kindheit plante er, „PKK-Mitglieder zu töten“, zitierte das türkische Format der Deutschen Welle am Donnerstag aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll von Gencer. Die HDP-Zentrale als Anschlagsziel habe er bereits seit letztem Januar ausgewählt. Um das insgesamt achtstöckige Gebäude besser auskundschaften zu können, schrieb er sich für einen Englisch-Kurs in einem Sprachinstitut in der Etage über der HDP-Zentrale ein. Mehrmals sei er auf Erkundungstour gewesen, im Mai habe er dann bei der Bezirkspolizeidirektion Gaziemir einen Waffenschein beantragt und diesen auch bekommen. Die Ruger-Schusswaffe, die Gencer bei dem Anschlag offenbar benutzte, soll er sich für umgerechnet etwa 340 Euro besorgt haben. Der Mann habe gegenüber der Polizei angegeben, insgesamt zehn Kugeln in der HDP-Zentrale abgefeuert zu haben: „Mein Ziel war es, mehrere Personen vorzufinden. Allerdings befand sich vor Ort nur eine Person.“ Bei dem Täter handelt es sich um einen offenkundigen Faschisten, der im Internet Fotos von sich aus Minbic und Aleppo in Nordsyrien gepostet hat. Die HDP geht von einem „organisierten Anschlag“ aus, in den staatliche Stellen involviert seien. Im Vorstand des Thermal-Hotels in Balçova etwa, wo der angeblich „arbeitslose“ Faschist regelmäßig eincheckte, sitzen der Provinzgouverneur von Izmir, Yavuz Selim Köşger, sowie dessen drei Stellvertreter. Mittlerweile sitzt Gencer in Untersuchungshaft.
Staatliche Hetze gegen HDP
Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar erklärte gestern, dass in dem Parteigebäude in Izmir am Tag des Anschlags eine Vorstandssitzung mit etwa vierzig Personen stattfinden sollte. Die Zusammenkunft sei aber kurzfristig verschoben worden. „Es ging also nicht nur darum, irgendeine Person zu ermorden. Es sollte ein Massaker stattfinden“, so Sancar. Das habe auch eine anschließende Tatortbegehung von HDP-Mitgliedern gezeigt. Es seien nicht nur ein bis zwei gezielte Schüsse abgegeben worden, die Schäden in den Räumlichkeiten deuteten auf einen Dauerbeschuss hin, mit dem alle Anwesenden getötet werden sollten. Auch Videoaufnahmen der HDP-Zentrale, die MA veröffentlicht hat, deuten darauf hin. Weiter erklärte Sancar, dass es sich bei dem Anschlag gleichzeitig um eine gefährliche Provokation handele: „Wir sagen das seit Monaten: Die Regierung ernährt sich von Chaos und will die demokratische Opposition mit Drohungen und Erpressung zum Schweigen bringen. Die HDP soll mit allen Mitteln eingeschüchtert werden. Dieses Ziel wird mit dem Kobanê-Prozess und dem Verbotsverfahren gegen die HDP verfolgt. Diejenigen, die auf juristischem und politischem Weg nicht mit uns fertig werden, haben jetzt bewaffnete Mörder zum Einsatz gebracht.“
Beerdigung auf Friedhof in Buca
Deniz Poyraz soll noch heute Abend auf dem Friedhof in Buca bei Izmir beigesetzt werden. Verabschiedet wird sie nach einem muslimischen Totengebet in der Moschee in Kadifekale, teilten ihre Eltern mit. Die Familie stammt ursprünglich aus der Omerya-Region in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (tr. Mardin), wo Deniz Poyraz 1983 geboren wurde. Im Jahr 1990, als die staatliche Verfolgung in den kurdischen Gebieten durch Folter, Dorfverbrennungen und systematischen Vertreibungsmaßnahmen ihren Höhepunkt erreichte, verließ die Familie Poyraz ihr Dorf und ließ sich in Izmir nieder. Drei weitere Kinder von Fehime und Abdülilah Poyraz befinden sich derzeit in türkischen Gefängnissen.