Urteil gegen IS-Terroristin Romiena S. in Celle: 3 Jahre und 3 Monate Haft

Die IS-Rückkehrerin Romiena S. ist in Celle zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Als Nebenklägerin trat eine vom IS versklavte Ezidin auf. Vor dem OLG fand eine Kundgebung von Frauenorganisationen statt.

Die IS-Terroristin Romiena S. ist vor dem Oberlandesgericht Celle zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. In ihren Plädoyers hatten die Bundesanwaltschaft zuvor viereinhalb Jahre und die Verteidigung zwei Jahre und zehn Monate Haft gefordert.

Die Generalbundesanwaltschaft hatte am 27. Dezember vergangenen Jahres unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Islamischer Staat“) sowie einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anklage erhoben. Die Angeschuldigte überredete eine 16-Jährige, mit ihr nach Syrien auszureisen, um sich dem selbst ernannten IS anzuschließen. Diesen Plan setzten die beiden Frauen im Dezember 2014 um. Außerdem nahm Romiena S. ihre damals vierjährige Tochter gegen den Willen des Kindesvaters mit.

Nach islamischem Ritus heiratete Romiena S. nacheinander mehrere IS-Mitglieder, deren Kampf sie durch die Haushaltsführung ermöglichte. Über Twitter trug sie ihre terroristische Gesinnung nach außen, indem sie die IS-Anschläge am 14. Juli 2016 in Nizza und am 18. Juli 2016 in Würzburg befürwortete.

Ihre Tochter und die zwei in Syrien geborenen Söhne erzog sie nach der Ideologie der islamistischen Organisation, nahm ihre Tochter sogar zu der Steinigung einer Frau mit. Die Verbrechen zum Nachteil ihrer Tochter wurden im Urteil als schwerste von ihr begangene Straftat eingestuft. Im Laufe des Jahres 2016 lebte das IS-Mitglied für einige Tage im Haushalt eines Sklavenhändlers in Raqqa, wo sie eine versklavte ezidische Frau überwachte und wirtschaftlich ausbeutete.

Der drei Monate anhaltende Gerichtsprozess war immer wieder durch Widersprüche zwischen den Aussagen der Romiena S. und dem vorliegenden Beweismaterial gekennzeichnet sowie durch Relativierungen eigener Schuld und Gedächtnislücken der Angeklagten. Romiena S. nannte zu Prozessbeginn eine hohe Anzahl bekannter bereits verurteilter oder getöteter deutscher IS-Mitglieder sowie in diesem Zusammenhang in Deutschland aktuell Angeklagter. Nach zwei Jahren Aufenthalt im Camp Hol und Camp Roj in Syrien wurde sie in der Rückholaktion vom 7. Oktober 2021 mit weiteren sieben Frauen und 23 Kindern in die Bundesrepublik Deutschland eingeflogen und umgehend festgenommen. Seitdem saß sie durchgehend in Untersuchungshaft.

Überlebende Ezidin als Nebenklägerin

Zeugin im Prozess war auch die Nebenklägerin. Die versklavte Ezidin hat die Gefangenschaft überlebt und kam frei. Nun kämpft sie vor allem für die Anerkennung der IS-Verbrechen, nicht nur für sich, sondern für die gesamte ezidische Gemeinschaft: Der Haupttäter sei in ihrem Fall nicht hier und würde vermutlich wie viele andere Männer juristisch nicht verfolgt. Nur ein Bruchteil des ihr angetanen Leids habe daher in diesem Verfahren aufgeklärt werden können. Dennoch sei die Gelegenheit, ihre Geschichte vor Gericht erzählen zu können und nicht als bloße Zeugin einer Tat vor einem deutschen Gericht zu sprechen, für sie sehr wichtig. Der Angeklagten wiederum sei zum Tatzeitpunkt genau bewusst gewesen, dass die Frau als Sklavin gefangen gehalten werde und was dies für Gräueltaten umfasste. Sie habe ihre erzwungenen Dienste trotzdem nicht abgelehnt und ihr, trotz eines günstigen Moments, nicht die Gelegenheit zur Flucht gelassen. Für die Nebenklägerin sei es vor allem wichtig, dass das ihr zugefügte Unrecht in der Urteilsbegründung ausreichend gewürdigt werde. Zwar wurde die Terrororganisation IS im Urteil als besonders grausam dargestellt, bezüglich der konkreten Taten nahm der Senat jedoch keine besonderen Ausführungen vor und stellte eher die Milde im Fall der Straftat „Beihilfe zur Sklaverei“ in den Vordergrund.

Prozesse von historischer Bedeutung“

Anlässlich der Urteilsverkündung fand am Mittwochmorgen eine Kundgebung unter dem Motto „Gerechtigkeit für die Ezid:innen“ vor dem OLG Celle statt, zu der der Dachverband des êzîdischen Frauenrats e.V. (Sîwana Meclîsa Jinên Êzîdî, SMJÊ) und die „Feministische Organisierung: Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ aufgerufen hatten. Nûjiyan Günay, Vertreterin des ezidischen Frauendachverbands, sagte zur juristischen Ahndung der IS-Verbrechen: „Dass die Personen zur Rechenschaft gezogen werden, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, begrüßen wir als SMJÊ. Auch wenn Prozesse gegen einzelne Personen positive Zeichen sind, kann damit der Genozid und Femizid an den Ezid:innen nicht aufgearbeitet werden. Dafür wäre die Gründung eines Sondertribunals wichtig, das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg.“

Auch die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen“ teilt diese Auffassung. Mila Borkner, eine Vertreterin, erklärte: „Auch die IS-Prozesse in Deutschland sind von historischer Bedeutung. Sie sind Teil der Aufarbeitung einer Terrorherrschaft und vor allem des Genozids und Femizids an den Ezid:innen seit 2014."

Aus diesem Grund beteiligten sich beide Organisationen an der Prozessbeobachtung in Celle. „Ich finde es teils erschreckend, wie gering Urteile bei solch schwerwiegenden Anklagepunkten wie dem Völkerrechtsverbrechen Sklaverei ausfallen, und ich frage mich, ob der Blick teils zu sehr von Mitleid und einer falschen Genderperspektive geprägt sein könnte“ äußerte Mila Borkner kritisch.

Türkische Angriffe gefährden den Kampf gegen den IS“

Einig sind sich die beiden Organisationen auch bezüglich der aktuellen Lage: Die militärischen Angriffe des türkischen Militärs auf das gesamte kurdische und ezidische Siedlungsgebiet gefährdeten den Kampf gegen den IS und unterstützten seine Reorganisation. Die 30-Kilometer-Zone, in die Erdogan in Nordsyrien eindringen wolle, umfasse auch die Lager Hol und Roj, in denen zehntausende IS-Familien interniert seien. Die Gefahr würde unter anderem auch durch Berichte des Pentagons dargelegt.


Foto: Mila Borkner