4,5 Jahre für IS-Rückkehrerin Romiena S. in Celle gefordert

Die Beweisaufnahme gegen die auch wegen Beteiligung an Sklaverei angeklagte „IS“-Terroristin Romiena S. vor dem OLG Celle ist abgeschlossen. Die BAW und die Nebenklage verlasen ihre Plädoyers. Gefordert wurden viereinhalb Jahre Haft.

Vor dem Oberlandesgerichts Celle ist der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Romiena S. mit den Plädoyers der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage fortgesetzt worden. Die heute 34-Jährige war Ende 2014 mit ihrer damals vierjährigen Tochter und einer in Deutschland bereits verurteilten 16-Jährigen vom Frankfurter Flughafen aus nach Syrien gereist, um sich dem selbsternannten „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. Anfang 2019 wurde sie von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgesetzt und lebte danach in Auffang- und Internierungslagern im Autonomiegebiet, zuletzt im Camp Roj. Im Oktober 2021 holte die Bundesregierung sie zusammen mit sieben weiteren Frauen und 23 Kindern nach Deutschland zurück. S. wurde noch am Flughafen in Frankfurt am Main festgenommen. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft.

Die Bundesanwaltschaft hatte am 27. Dezember 2021 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Celle Anklage erhoben. Die Vorwürfe lauteten auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland („IS“) in fünf Fällen, Unterstützung des „IS“ und die Anwerbung von Mitgliedern für die Terrororganisation, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Beteiligung an Sklaverei), die Entziehung Minderjähriger mit Gefährdung, die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie die Billigung von Straftaten.

Nebenklägerin lehnt Entschuldigung ab

In der Eröffnung ihres Plädoyers unterstrich die Anklagevertretung, dass die Schließung der Beweisaufnahme in einem Prozess mit derartig schwerwiegenden Anklagepunkten nach nur zehn Hauptverhandlungstagen darauf zurückzuführen sei, dass es mittlerweile eine stabile und erfahrene Rechtsprechung bezüglich „IS“-Rückkehrerinnen in Deutschland gebe.

Weiter ging die Bundesanwaltschaft insbesondere darauf ein, dass die geständige Einlassung von Romiena S. zwar zu ihren Gunsten ausgelegt werden müsse, diese jedoch immer wieder und insbesondere, wenn es um die Anerkennung der eigenen Verantwortung ging, relativierend und beschönigend bezüglich der Vorwürfe gewesen sei. Die Angeklagte selbst sowie ihre Mutter, die als Zeugin im Prozess ausgesagt hatte, hätten konstant versucht, sie als bloßes Opfer anderer darzustellen. Auch der Entschuldigung, die die Angeklagte gegenüber der Nebenklägerin bei deren Zeuginnen-Aussage aussprach, habe es an Deutlichkeit gefehlt. Sie sei in großen Teilen relativierend gewesen und sie abzulehnen sei das nachvollziehbare Recht der Zeugin gewesen. Diese hatte mit eindrucksvollen Worten dargelegt, dass sie keinerlei Grund habe dem „IS“ und seinen Mitgliedern das Leid, welches ihr, ihrer Familie und der gesamten ezidischen Gemeinschaft zugefügt wurde, zu verzeihen.

Mit menschenverachtender IS-Ideologie identifiziert“

Für die ausgewiesenen Widersprüche in den Aussagen von Romiena S. führte die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer verschiedene Sachbeweise und glaubhafte Aussagen von Zeuginnen an, die die Darstellungen der Angeklagten widerlegten. So sei es beispielsweise absolut unglaubwürdig, dass sie sich direkt nach ihrer Ankunft in Syrien vom „IS“ distanziert und Fluchtgedanken entwickelt habe, denn noch im Juli 2016 habe sie sich auf Twitter befürwortend zu den Anschlägen des „IS“ in Nizza und in Würzburg geäußert. Bis mindestens 2017 habe sich die Angeklagte nachweislich in hohem Maße mit der islamistischen, menschenverachtenden Ideologie der Terrororganisation identifiziert.

Die Bundesanwaltschaft sah die Schuld von Romiena S. in allen aufrechterhaltenen Anklagepunkten abschließend als bewiesen an. Die geforderte Gesamtstrafe liegt bei vier Jahren und sechs Monaten Haft, die Angeklagte solle zudem alle Kosten des Verfahrens, einschließlich denen der Nebenklage, tragen.

Ezidische Nebenklägerin 24 Mal als Sklavin verkauft

Die Beteiligung an Sklaverei, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurde von der Bundesanwaltschaft juristisch als minder schwerer Fall der Beihilfe zur Sklaverei bewertet, da die Dauer wenige Tage umfasste und die Angeklagte über die Ausbeutung der Arbeitskraft hinaus keine Misshandlungen an der betroffenen Ezidin, die in dem Prozess als Nebenklägerin auftrat, verübt habe.

Den diesbezüglichen rechtlichen Ausführungen folgte der Anwalt der Nebenklägerin in seinem Plädoyer und stellte insbesondere die subjektive Perspektive seiner Mandantin in dessen Mittelpunkt: Der Haupttäter sei nicht hier, er würde vermutlich an seinem Aufenthaltsort auch nicht getrennt verfolgt, ebenso wie viele andere Männer. Die Nebenklägerin sei in „IS“-Gefangenschaft 24 mal ge- und verkauft und von über 30 verschiedenen Männern vergewaltigt worden. Nur ein Bruchteil des ihr angetanen Leids hätte daher in diesem Verfahren aufgeklärt werden können.

Dennoch sei die Gelegenheit, von diesem Leid vor Gericht zu berichten, nicht selbstverständlich und für ihre Aufarbeitung von besonderer Bedeutung. Ihre Geschichte erzählen zu können und nicht als bloße Zeugin einer Tat vor einem deutschen Gericht zu sprechen, sei für sie sehr wichtig. Der Angeklagten wiederum sei zum Tatzeitpunkt genau bewusst gewesen, dass die Frau als Sklavin gefangen gehalten werde und was dies für Gräueltaten umfasste. Sie habe ihre erzwungenen Dienste trotzdem nicht abgelehnt und sie habe ihr, trotz eines günstigen Moments, nicht die Gelegenheit zur Flucht gelassen. Zur Strafhöhe wollte sich der Anwalt nicht äußern, für die Nebenklägerin sei es vor allem wichtig, dass das ihr zugefügte Unrecht in den Urteils-Ausführungen ausreichend gewürdigt werde.

Das Urteil wird voraussichtlich am 1. Juni 2022 verkündet.


Foto: Andrea Knoop, Kundgebung des Dachverbands des êzîdischen Frauenrats e.V. (Sîwana Meclîsa Jinên Êzîdî) zum Prozessauftakt am 9. März 2022 in Celle