Nachdem die Türkei per Präsidialdekret am 1. Juli aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt ausgetreten ist, folgt mit der Ratifizierung des 4. Gesetzespakets der nächste Schlag gegen die Rechte von Frauen und Kindern. Nach Paragraph 13 des neuen Gesetzes soll es nun bei Ermittlungen wegen sexualisierter Gewalt nicht mehr zur Inhaftierung des mutmaßlichen Täters ausreichen, wenn nur ein „starker Verdacht“ gegen diesen vorliegt. Stattdessen werden „konkrete Beweise“ zur Voraussetzung für die Verhängung von Untersuchungshaft gemacht.
Insbesondere dieser Punkt des Gesetzespakets hat zu heftiger Kritik geführt. Die HDP-Abgeordnete Dilşat Canbaz Kaya warnte: „Der sogenannte Elmali-Fall von zwei von sexualisierter Gewalt betroffenen Kindern und der Fall des Missbrauch eines zweijährigen Babys in Uşak zeigen einmal mehr das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in der Türkei und wie brandgefährlich dieser ist. Wie die Beispiele von Pozantı und der Ensar-Stiftung zeigen, tritt Kindesmissbrauch in öffentlichen Einrichtungen und in einigen von der Regierung unterstützten Verbänden und Stiftungen auf. Darüber hinaus handelt es sich bei der Gewalt meist um sexuelle Übergriffe gegen mehr als ein Kind, aber die überwiegende Mehrheit der Täter bleibt ungestraft.“ CHP und HDP stimmten gegen den Entwurf.
Das Gesetz kommt Täterschutz gleich
Durch dieses Gesetz werden die Täter vor Inhaftierung geschützt. Insbesondere beim sexualisierten Missbrauch von Kindern ist es häufig sehr schwer, den „konkreten Beweis“ jenseits von Aussagen und Hinweisen zu erbringen. Expert:innen befürchten, dass die Hemmschwelle, solche Taten zu begehen, aufgrund der Gesetzeslage weiter sinken wird. Da die Täter meist aus dem direkten familiären oder institutionellen Umfeld der Überlebenden der Gewalttaten stammen, gibt dieses Gesetz ihnen ebenfalls die Möglichkeit, weiter Druck aufzubauen und ihre Taten zu verschleiern.
Sexualisierte Gewalt wird systematisch vom Regime legitimiert
Unter der AKP-Herrschaft haben sich die Missbrauchsraten bereits vervielfacht. Die Ursache dafür wird unter anderem in legitimatorischen Diskursen von Behördenseite gesehen. Erst vergangene Woche hat die Regierung erneut ein Gesetz in die Diskussion eingebracht, nach dem wenn von sexualisierter Gewalt betroffene Minderjährige, die Täter heiraten, diese straffrei blieben. Dieses als „Missbrauchsamnestie“ bekannte Gesetz liegt der Regierung sehr am Herzen, so versuchte sie es bereits 2016 und 2020 durchzusetzen.