In der Türkei vollzieht sich eine weitere antikurdische „Säuberungsaktion“. Durch die Reihen von demokratischer Opposition, Zivilgesellschaft und der freien Presse fegt seit Dienstagfrüh wieder eine Festnahmewelle, die mit dem Label „Terrorismusbekämpfung“ versehen ist. Mitgliedschaft in der PKK oder ihrem Dachverband KCK beziehungsweise bei den in Syrien aktiven Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der Partei PYD, die Finanzierung dieser Organisationen oder Propaganda für selbige sowie Teilnahme an illegalen Protesten lauten die Vorwürfe, die Staatsanwaltschaften in dutzenden Provinzen gegen insgesamt 231 Personen erheben, teilte das türkische Innenministerium mit. In nahezu allen Fällen unterliegen die Ermittlungsakten einer Geheimhaltungsklausel, darüber hinaus ist vielerorts ein 24-stündiges Anwaltsverbot in Kraft, gab die Juristenvereinigung ÖHD derweil bekannt. Bei solchen Maßnahmen, die üblich sind in Verfahren mit angeblichem Terrorismusbezug, handelt es sich um eine gängige Methode der türkischen Justiz, die Verteidigung zu torpedieren.
Zu den Festnahmen kam es in insgesamt 30 Provinzen des Landes, von Istanbul im Nordwesten bis Colemêrg (tr. Hakkari) im Südosten. Neben Lokalpolitiker:innen, Menschenrechtler:innen, Gewerkschaftsmitgliedern und Aktivist:innen befinden sich unter den Festgenommenen auch etliche Medienschaffende und Intellektuelle, darunter die Journalist:innen Tuğce Yılmaz, Bilge Aksu, Ahmet Sümbül, Roza Metina, Bilal Seçkin, Mehmet Ücar und Suzan Demir, die Übersetzer und Autoren Ardın Diren und Ömer Barasi, der Dichter Hicri Izgören sowie der Comic-Künstler Doğan Güzel.
Der Journalist Erdoğan Alayumat (hier bei seiner Festnahme in Istanbul), soll auf dem Revier einer Nacktdurchsuchung unterzogen worden sein © MA
Vorwurf der Nacktdurchsuchung
Auch der Journalist Erdoğan Alayumat, der früher als Korrespondent für die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) arbeitete und auch heute für die freie kurdische Presse tätig ist, befindet sich unter den Festgenommenen. Wie der Verein für Medien und Recht (MLSA) mitteilte, soll er heute in dem als Folterzentrum berüchtigten Istanbuler Präsidium Vatan Opfer einer entwürdigenden Nacktdurchsuchung geworden sein. Die NGO hat angekündigt, Strafanzeige zu stellen. Alayumat, der im vergangenen Frühjahr aufgrund eines anderen „Terror“-Verfahrens bereits mehrere Wochen in Untersuchungshaft saß, wurde derweil zur Staatsanwaltschaft nach Eskişehir verbracht. Ein Großteil der Festgenommenen soll nach Informationen der ÖHD allerdings nach Ankara überstellt werden. Bis dahin werden sie in Polizeigewahrsam verbringen müssen.
Proteste gegen Festnahmen
Zahlreiche Organisationen und Parteien verurteilten die Festnahmen als rechtswidrig und „politisch motiviert“ und forderten die sofortige Freilassung der Betroffenen. Die Terrorvorwürfe dienten nur dazu, gegen die kurdische Bevölkerung vorzugehen und Oppositionelle zu kriminalisieren, erklärten die DEM und DBP in einer gemeinsamen Stellungnahme. Der Journalistenverein DFG erklärte, die türkische Regierung habe eine Art Damoklesschwert über Andersdenkenden, insbesondere unabhängigen Medien installiert, um die demokratische Opposition zum Schweigen zu bringen. Davon werde sich die kurdische Presse aber nicht einschüchtern lassen. Die Vereinigung der Journalistinnen Mesopotamiens (MKG), deren Vorsitzende Roza Metina in Polizeihaft sitzt, verurteilte die Festnahmen ebenfalls und rief Medieneinrichtungen zu Solidarität mit den Betroffenen auf.
Titelfoto zeigt Polizeipräsenz auf einer Demonstration in Izmir, Archivbild © Eda Aktaş / Evrensel