Türkische Polizei greift HDP-Abgeordnete an
HDP-Politiker*innen wurden von der Polizei mit Gewalt daran gehindert, Kundgebungen vor den Gefängnissen abzuhalten, in denen ehemalige Abgeordnete und Vorsitzende inhaftiert sind.
HDP-Politiker*innen wurden von der Polizei mit Gewalt daran gehindert, Kundgebungen vor den Gefängnissen abzuhalten, in denen ehemalige Abgeordnete und Vorsitzende inhaftiert sind.
Zwei Jahre nach der bislang umfassendsten Festnahmewelle gegen Mitglieder und Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), in deren Rahmen unter anderem auch Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ inhaftiert wurden, fanden am Sonntag Kundgebungen vor den Typ-F-Gefängnissen in Edirne und Kandira statt.
Am 4. November 2016 wurden in der Türkei insgesamt elf HDP-Abgeordnete festgenommen. Neben den beiden ehemaligen Parteivorsitzenden wurden mitten in der Nacht auch die Abgeordneten Nursel Aydoğan, Sırrı Süreyya Önder, Selma Irmak, Ziya Pir, Ferhat Encü, Gülser Yıldırım, İdris Baluken, Leyla Birlik und İmam Taşçıer aus ihren Wohnungen geholt. Während Sırrı Süreyya Önder, Ziya Pir und İmam Taşçıer später gegen Meldeauflagen wieder freigelassen wurden, erging gegen die anderen nach Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität Haftbefehl. Seitdem sitzen sie in verschiedenen Gefängnissen.
Zum zweiten Jahrestag der politisch motivierten Operation wollten die HDP-Parlamentarier*innen Zülayha Gülüm, Tuma Çelik, Zeynel Özen und der Vorsitzende der Arbeiterpartei der Türkei (TIP), Erkan Baş, in der Stadt Edirne eine Pressemitteilung vor dem Gefängnis verlesen. Die Politiker*innen trafen allerdings schon auf dem Weg dorthin auf eine Polizeiabsperrung. Den Abgeordneten wurde mitgeteilt, dass die Pressekonferenz vom Gouverneur verboten worden sei und die Kundgebung unter keinen Umständen erlaubt werde. Die Abgeordneten entgegneten: „Diese Entscheidung entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage. Wir sind die Vertreter*innen des Volkes und wir haben das Recht, eine Erklärung abzugeben, wo immer wir wollen.“
Polizeiangriff auf Abgeordnete
Daraufhin wurden die Abgeordneten und anwesende Vertreter*innen der Presse gewaltsam vom Platz gezerrt. Die im Polizeikessel eingeschlossenen Parlamentarier*innen Gülüm, Özen und Çelik wurden körperlich angegriffen und beleidigt. Aufgrund des Widerstands konnte die Kundgebung zwar nicht verhindert werden, jedoch wurde der Presse verboten, sie zu beobachten.
Die Erklärung wurde schließlich von dem Abgeordneten Tuma Çelik aus dem Polizeikessel heraus verlesen. Çelik sagte: „Uns anzugreifen, uns zum Schweigen zu bringen, zu versuchen, uns zurückzuwerfen, erreicht nur das Gegenteil: Es macht uns stärker. Wir geben unseren Freundinnen und Freunden im Gefängnis und unserem ganzen Volk unser Wort, dass dieser Kampf siegreich sein wird. Im Moment wird die Türkei von einer Clique regiert, die ihre Kraft nicht auf Recht und Gesetz, sondern auf die Gewalt der Macht stützt. Dafür werden sie auf jeden Fall Rechenschaft ablegen müssen.“
Erkan Baş von der TIP bezeichnete den 4. November 2016 als einen politischen Putsch: „Am zweiten Jahrestag sind wir nach Edirne gekommen, um uns mit unseren Freunden solidarisch zu zeigen, aber wir trafen auf die Realität: Der Putsch geht weiter.“
Der Abgeordnete Zeynel Özen bezeichnete den 4. November ebenfalls als politischen Putsch und sagte: „Dutzende unserer Vertreterinnen und Vertreter wurden inhaftiert, unsere Bürgermeister wurden verhaftet und mehr als 10.000 Parteimitglieder wurden in Geiselhaft genommen. Wir werden uns dieser antidemokratischen faschistischen Politik nicht beugen.“
Repression gegen Abgeordnete in Kandira
Fatma Kurtulan vom Fraktionsvorstand der HDP fuhr gemeinsam mit den Abgeordneten Oya Ersoy und Ömer Faruk Gergerlioğlu nach Kandira, um die dort inhaftierten Parteikolleg*innen zu besuchen. Das Justizministerium lehnte den Besuchsantrag jedoch „aus Sicherheitsgründen“ ab. Der Weg, der zum Gefängnis führt, wurde von der Jandarma blockiert.
Trotz Forderungen, den Gefängnisdirektor zu sprechen, erklärte die Jandarma, dass dieser die Abgeordneten nicht sehen wolle. Daraufhin hielten Kurtulan, Ersoy und Gergerlioğlu ihre Kundgebung in etwa fünf Kilometern Entfernung ab. Das Motto lautete: „Ihr könnt Geiseln nehmen, aber uns nicht zu Aufgabe zwingen!“
Botschaft von Figen Yüksekdağ
Die Parlamentarierin Asiye Kolçak trug eine Erklärung der inhaftierten ehemaligen Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ vor: „Die HDP ist als eine gesellschaftliche Struktur, die in den vergangenen zwei Jahren fast alle möglichen Formen von Angriffen, Verfolgungen und Ungerechtigkeiten erfahren hat, ein Symbol des Widerstands und des Wegs in die Zukunft geworden. Wir haben als Politiker*innen des Volkes auch in Geiselhaft keinen einzigen Moment vergessen, woher unsere Stärke kommt. Wir haben versucht, eine unserem Volk und unseren Wähler*innen angemessene Haltung zu zeigen, in dem wir die Sehnsucht der Frauen nach Befreiung, das Gedenken und den Willen der Gefallenen, ihr Engagement, ihre Freiheit und ihre Werte des Friedens weitertragen. Mit der gleichen Überzeugung werden wir unseren gerechtfertigten und würdevollen Kampf stets weiterführen. Diejenigen, die glauben, dass sie uns in die Kerker stecken können, haben schon einmal feststellen müssen, dass dies ein Trugschluss ist. Sie werden dies wieder tun. Aber da sie es bisher nicht begriffen haben, werden sie es auch diesmal nicht. Die Aufgabe liegt bei euch und bei uns. Wir sind die einzige Option gegen diese Macht, die ihre Entwicklungs- und Lebensfähigkeit eingebüßt hat und das ganze Land mit sich in den Abgrund zieht. Die Hoffnungen und die Zukunft der Türkei werden von der HDP vertreten. Wir mögen drinnen oder draußen sein, aber die Hauptsache, die uns eint, ist dass wir diesen Glauben und diese Begeisterung weiterwachsen lassen.“
Kurtulan: Die HDP wird keinen Schritt zurückweichen
Abschließend sprach Fatma Kurtulan. Sie sagte: „Im Jahr 1994 erlebten wir die gleiche Repression. Damals wurden die DEP-Abgeordneten im Parlament festgenommen, weil sie für Demokratie eintraten. Sie mussten jahrelang im Gefängnis bleiben. Im Jahr 2009 wurde erneut eine politische Operation durchgeführt. Tausende Menschen wurden verhaftet, insbesondere die gewählten Vertreter*innen. Das war damit natürlich nicht vorbei und in der jüngeren Vergangenheit, vor zweieinhalb Jahren, sagte Erdoğan selbst: ‚Man muss die Immunität aufheben‘. Daraufhin wurde die Immunität der Abgeordneten mit der Unterstützung von drei Parteien aufgehoben. Unsere Freundinnen und Freunde wurden festgenommen und inhaftiert. Zu dieser Zeit hat der Staat fast 12.000 unserer Mitglieder festgenommen und inhaftiert. Unsere Ko-Vorsitzenden und unsere Politiker*innen wurden ins Gefängnis gesteckt. Gerade befinden sich neun unserer Abgeordneten im Gefängnis.“ Kurtulan schloss ihre Rede mit den Worten: „An zweiten Jahrestag der Festnahmewelle sagen wir es ein weiteres Mal laut: Die HDP wird keinen Schritt zurückweichen.“