Einer Delegation der schwedischen Vänsterpartiet ist im westtürkischen Edirne ein Besuch bei dem inhaftierten kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş verweigert worden. Der Parteivorsitzende Jonas Sjöstedt kritisierte die Zurückweisung der türkischen Behörden. Die Abordnung, zu der auch die stellvertretende Sprecherin des schwedischen Reichstags Lotta Johnsson Fornarve sowie der außenpolitische Sprecher der Vänsterpartiet, Håkan Svenneling, angehören, hält sich in der Türkei zu einem Besuch bei der Demokratischen Partei der Völker (HDP) auf. Die Reise gilt als ein „Akt der Solidarität” gegenüber einer Partei, die mit Repression einer diktatorisch geführten Regierung überzogen werde, sagte Sjöstedt. Damit spielte der schwedische Politiker auf den jüngsten politischen Putsch der Erdoğan-geführten Justiz gegen die HDP an.
Vergangenen Freitag waren im Rahmen des „Kobanê-Verfahrens“ siebzehn von insgesamt zwanzig Politikerinnen und Politiker der HDP verhaftet worden, die sich seit einer Woche in Polizeigewahrsam befanden. Den Betroffenen, allesamt bekannte HDP-Vertreter, darunter ehemalige Abgeordnete und Bürgermeister, wird eine vermeintliche Beteiligung an Demonstrationen im Oktober 2014 vorgeworfen , als die HDP anlässlich des IS-Angriffs auf die Stadt Kobanê in Westkurdistan/Nordsyrien auch gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für die dschihadistische Terrormiliz protestierte. Sie werden der versuchten Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates sowie des Mordes, Plünderung, Anstachelung zur Gewalt und Freiheitsberaubung beschuldigt. Im Rahmen des Verfahrens werden weitere 62 Personen gesucht, von denen sich 61 im Ausland aufhalten sollen. Die Türkei will sie bei Interpol auf die Fahndungsliste setzen.
Sjöstedt: HDP ist Schlüsselpartei für Lösung der Probleme
„Die HDP ist die Schlüsselpartei für die Lösung der Probleme im Land und Demokratisierung der Türkei“, erklärte Sjöstedt vor dem Hochsicherheitsgefängnis in Edirne, in dem Demirtaş seit Ende 2016 als politische Geisel festgehalten wird. Die Polizeioperationen und sogenannte Terrorverfahren gegen Oppositionelle verurteilte der schwedische Linkspolitiker und attestierte der Repression gegen die HDP einen autokratischen und diktatorischen Charakter. Insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Demirtaş trete die politische Willkürjustiz in der Türkei zu Tage.
Türkei muss EGMR-Urteil endlich umsetzen
„Die türkischen Behörden müssen die Gerichtsentscheidung umsetzen und ihn sofort freilassen“, verlangt Sjöstedt. Der EGMR hatte 2018 geurteilt, der türkische Staat habe mit der langen Untersuchungshaft Demirtaşs diverse Menschenrechte verletzt und dessen schnellstmögliche Freilassung gefordert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte daraufhin, sich nicht an das Urteil gebunden zu fühlen. Als Mitgliedstaat des Europarats ist die Türkei jedoch verpflichtet, EGMR-Urteile umzusetzen. Sjöstedt führt die Geiselhaft des ehemaligen HDP-Vorsitzenden und Menschenrechtsanwalts auf die „Furcht“ Erdoğans seinem Erzfeind Selahattin Demirtaş gegenüber zurück. „Heute mag uns der Besuch bei ihm verwehrt worden sein. Irgendwann werden wir Demirtaş aber als freien Menschen treffen, davon sind wir überzeugt“, erklärte der Vänsterpartiet-Vorsitzende.
Gespräche mit Zivilgesellschaft geplant
Begleitet wurde die schwedische Abordnung vom HDP-Abgeordneten Zeynel Özen und Demirtaş-Verteidiger Ramazan Demir. Nach einem Besuch bei seinem 47-jährigen Mandanten überbrachte der Rechtsanwalt eine persönliche Grußkarte von Demirtaş an die Delegation. Für Dienstag ist ein Besuch in der HDP-Zentrale in Ankara geplant. Zudem wollen die schwedischen Abgeordneten mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenkommen.