Weil auf dem Parteitag der Demokratischen Partei der Völker (HDP) verbotene Parolen gefallen sein sollen, hat die Generalstaatsanwaltschaft Ankara ein Ermittlungsverfahren wegen „Terrorpropaganda“ eingeleitet. Wie die Behörde noch am Sonntagabend verlauten ließ, seien im Zuge der von Amts wegen eingeleiteten Ermittlungen bereits vier Personen festgenommen worden. Zwecks Identitätsfeststellung aller Verdächtiger sowie deren Überstellung an die Staatsanwaltschaft würden die weiteren Ermittlungen von der Antiterrorzentrale der Polizei Ankara fortgesetzt. Auf Terrorpropaganda stehen in der Türkei bis zu fünf Jahre Haft.
Für die kommenden Tage werden daher landesweit weitere Festnahmen erwartet. Mit den angeblich verbotenen Parolen dürfte derweil unter anderem „Bijî Serok Apo“ gemeint sein. Diese Losung, die übersetzt „Es lebe der Vorsitzende Apo“ bedeutet, war auf dem HDP-Parteitag am Sonntag in Ankara besonders oft im Sprechchor gerufen worden. Mit Apo ist Abdullah Öcalan gemeint, Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung, der seit 1999 in politischer Geiselhaft auf der Gefängnisinsel Imrali ist.
Die HDP hatte auf ihrem Parteitag ihre Forderung nach einer Abschaffung des Isolationsregime auf Imrali und Verhandlungen über eine Lösung der kurdischen Frage mit Öcalan als Gesprächspartner bekräftigt – und in Form von „Bijî Serok Apo“ die Zustimmung ihrer Mitglieder erhalten. Auch wenn die Parole selbst nach Auffassung des türkischen Verfassungsgerichtshofs nicht als Straftat gilt, wird sie von Polizei und Staatsanwaltschaften als werbende Unterstützung der Belange der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bewertet. Personen, die sie verwenden, werden nicht selten nach der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung angeklagt und mit langen Prozessen zermürbt.
Parole von Meinungsfreiheit gedeckt
Der Staatsgerichtshof mit Sitz in Ankara hatte im März 2020 in einem Urteil bekräftigt, dass die kurdische Parole „Bijî Serok Apo“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. In dem Beschluss wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Unterstrafestellung von angeblicher Terrorpropaganda in dem Zusammenhang als vermeintlich abstraktes Gefährdungsdelikt das Potenzial habe, auch andere verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten einzuschränken. Wenige Monate vor der überraschenden Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei wegen Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung wegen des Skandierens der Parole „Bijî Serok Apo“ verurteilt. Geklagt hatten zwei Aktivisten, die zu Geldstrafen verurteilt worden waren.
Geschichte der Parole „Bijî Serok Apo”
Die Parole „Bijî Serok Apo” hat eine lange Geschichte. Die Anfänge gehen zurück ins Jahr 1984, als sich eine Handvoll Guerillakämpfer:innen auf den Beginn des bewaffneten Widerstands in Kurdistan vorbereitete. Entsprungen ist „Bijî Serok Apo“ allerdings auf einem Sternmarsch von Hannover nach Bonn. Die Demonstration gilt als erster „Langer Marsch“ der kurdischen Exil-Community in Deutschland.