Temellis Antwort auf Erdoğans Leugnung der kurdischen Frage

Auf einer Klausurtagung der HDP in Wan hat der Ko-Vorsitzende Sezai Temelli auf die Behauptung Erdoğans reagiert, dass es in der Türkei keine kurdische Frage gibt: „Selbstverständlich gibt es sie und sie steht im Zentrum aller Probleme.“

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) diskutiert auf einer Klausurtagung in Wan über demokratische Prinzipien und Handlungsmöglichkeiten in der kommunalen Verwaltung. Die ersten beiden Tage der Klausurtagung waren ausschließlich den Bürgermeisterinnen der HDP vorbehalten, heute sind auch ihre männlichen Kollegen dabei.

Zu Beginn der heutigen Sitzung hielt der HDP-Vorsitzende Sezai Temelli eine Ansprache, in der er auf die Strategie seiner Partei bei den Kommunalwahlen am 31. März einging und erklärte, diese Strategie dürfe nicht auf die Wahlen beschränkt bleiben: „Wir haben eine radikale Offensive vollzogen und das politische Panorama der Türkei damit verändert. Um einen gesellschaftlichen Frieden zu erreichen, müssen wir diese Offensive fortsetzen.“ Wie der Polizeiangriff auf die Ko-Bürgermeister*innen von Giyadîn (Diyadin, Provinz Agirî/Ağrı) gezeigt habe, herrsche immer noch an vielen Orten die Mentalität der staatlichen Zwangsverwalter, die es zu bekämpfen gelte.

Antwort an Erdoğan

Im weiteren Verlauf seiner Rede ging Temelli auf die Erklärung des türkischen Staatschefs Erdoğan ein, der behauptet hatte, dass es keine kurdische Frage gebe: „Es ist unfassbar, dass immer noch versucht wird, über Verleugnung Politik zu machen. Was soll das heißen, es gibt keine kurdische Frage? Die Person, die diese Frage lösen müsste, tritt auf und behauptet, dass sie gar nicht existiert. Mit dieser apolitischen Haltung werden die Völker übergangen. Diese Haltung zeigt sich in Xakurke und Rojava. Selbstverständlich gibt es die kurdische Frage und sie befindet sich im Zentrum aller Probleme. Ohne eine Lösung dieser Frage lässt sich überhaupt kein Problem lösen. Es besteht eine organische Verbindung zwischen der kurdischen Frage und allen anderen Problemen. Die Regierung lebt davon, dass sie keine Lösungen produziert, aus diesem Grund setzt sie auf eine Politik der Isolation und Gewalt. Wer die kurdische Frage ignoriert, ist selbst als Opposition ein Teil des Problems. Wir brauchen ein System, in dem wir uns auf der Grundlage gleichberechtigter Völker wiederfinden können. Deshalb müssen wir eine demokratische Republik in einem gemeinsamen Land aufbauen.“

Dienstleistungen entstehen aus Basisdemokratie

Die Kommunalverwaltungen seien das wichtigste Standbein für den Aufbau basisdemokratischer Strukturen, erklärte der HDP-Vorsitzende. Dabei gehe es nicht um Quantität, sondern um einen gesellschaftlichen Wandel, der alle Unterschiedlichkeiten in der Gesellschaft einbeziehen müsse. Die Rathäuser dürften sich bei ihrer Arbeit nicht nur auf Dienstleistungen fokussieren, sondern müssten eine demokratische Partizipation bewerkstelligen: „Nur aus demokratischen Strukturen können Dienstleistungen entstehen. Natürlich müssen wir die Bedürfnisse der Menschen erfüllen, aber wir müssen uns dabei von marktorientierten Vorstellungen befreien. Die Rathäuser müssen Orte der Gesamtgesellschaft werden. Wir haben große Träume und Hoffnungen, lasst uns in dem Selbstbewusstsein handeln, dass wir die Kraft haben, die ganze Welt zu verändern.“

Nach der Ansprache von Sezai Temelli ging die viertägige Klausurtagung unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter.