Studierenden-Proteste in Istanbul werden lauter

Seit Montag protestieren Studierende in Istanbul gegen die Ernennung eines AKP-Politikers als neuen Rektor der Boğaziçi-Universität durch Erdoğan. Die Proteste werden trotz massiver Repression immer lauter.

Die Proteste von Studentinnen und Studenten in der Türkei werden immer lauter. Seit Montag protestieren Studierende in Istanbul gegen die Ernennung des AKP-Politikers Melih Bulu als neuen Rektor der renommierten Boğaziçi-Universität durch Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Gleich am ersten Tag kam es zu massiver Polizeigewalt auf dem Campus, am Dienstag und Mittwoch folgten martialische Hausdurchsuchungen an diversen Adressen, bei denen insgesamt 36 Studierende festgenommen wurden.

Trotz Repression, Misshandlung der Festgenommenen und Versammlungsverboten in einzelnen Stadtteilen reißen die Proteste nicht ab. In anderen Städten gab es Solidaritätsbekundungen, die ebenfalls angegriffen wurden. Vor dem Rektorat der Boğaziçi-Universität forderten Studierende am Mittwoch erneut den Rücktritt des Rektors, dessen Berufung durch Erdogan als schwerer Eingriff in die Freiheit der Universitäten verurteilt wird.

Drei zentrale Forderungen: Freilassung, Rücktritt, Wahlen

Am Nachmittag kamen Hunderte Menschen zu einer Protestaktion im Istanbuler Stadtteil Kadiköy zusammen, darunter auch Abgeordnete der HDP, CHP und TIP sowie Vertreter*innen von Gewerkschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Studierenden forderten die sofortige Freilassung ihrer festgenommenen Kommiliton*innen und den Rücktritt von Melih Bulu und aller anderen als „Zwangsverwalter“ an Hochschulen eingesetzten Rektoren. Rektoren sollen unter Berücksichtigung des Einverständnisses aller beteiligten universitären Gremien demokratisch gewählt werden, so die dritte Forderung der Studierendenschaft. Ab Freitag sollen täglich zwischen 11 und 16 Uhr Proteste vor der Boğaziçi-Universität stattfinden.

Idil Berivan Kaya erklärte bei der Protestaktion in Kadiköy im Namen der Studierenden der Boğaziçi-Universität: „Heute ist Mittwoch, der 6. Januar. Unsere Umgebung ist voller Polizisten und unsere festgenommenen Freundinnen und Freunde sind nicht bei uns. Wir stehen hier als Studierende zusammen mit Werktätigen, Akademikern und demokratischen Massenorganisationen, um ein weiteres Mal zu erklären, dass wir keinen ernannten Zwangsverwalter an unserer Universität dulden.“

Staatliche Treuhänder auf allen Ebenen

Kaya widersprach der Behauptung des unerwünschten Rektors Bulu, dass nur eine Minderheit der Studierenden an den Protesten beteiligt ist: „Im Gegenteil, wir repräsentieren hier keine Minderheit, sondern die Boğaziçi-Universität als solche, und wir sind dagegen, dass ein Rektor als staatlicher Treuhänder eingesetzt wird. Wir wissen, dass die Zwangsverwalter-Politik immer schlecht ist. Wir werden uns nicht daran gewöhnen und wir werden sie nicht hinnehmen. Wir stehen hier auch nicht nur für die Boğaziçi-Universität, sondern für alle Studierenden und das gesamte Land: Für die Frauen und LGBTI+, die die Anwendung der Istanbul-Konvention fordern, und für die Werktätigen und Unterdrückten, die für ihre Rechte kämpfen.“

Die Berufung des Rektors durch Erdogan sei nicht unabhängig von den sonstigen Entwicklungen im Land zu bewerten, sagte Kaya und wies auf die in kurdischen Rathäusern eingesetzten Zwangsverwalter und das neue Gesetz hin, mit dem sogar in zivilgesellschaftlichen Organisationen staatliche Treuhänder ernannt werden können. Die Ernennung von Zwangsverwaltern an Universitäten zerstöre deren Autonomie und bedeute eine große Gefahr für die Zukunft des Landes.

In weiteren Reden wurde die Unterstützung der Studierendenschaft anderer Universitäten zum Ausdruck gebracht. Danach trat Grup Bandista auf und es wurde getanzt.