Rund tausend Studierende der renommierten Boğaziçi-Universität und anderer Hochschulen in Istanbul haben am Montag gegen die Ernennung eines neuen Rektors durch Staatschef Recep Tayyip Erdoğan protestiert. Die Beteiligten riefen immer wieder „Wir wollen keinen ernannten Rektor“ und „Er wird gehen, wir bleiben!“.
Der Protest der Studierendenschaft richtet sich gegen den 50-jährigen AKP-Politiker Melih Bulu, der am Freitag von Erdoğan als Leiter der Boğaziçi-Universität eingesetzt wurde. Bulu gehört zu den Mitbegründern des AKP-Bezirksverbands in Sarıyer und hatte sich bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 in Istanbul für eine Direktkandidatur bei der AKP beworben. Von den Studierenden wird er in Anlehnung an die anstelle der abgesetzten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als Treuhänder der Rathäuser in kurdischen Städten als „Zwangsverwalter“ bezeichnet.
An den von massiver Polizeigewalt und dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern überschatteten Protesten gegen die Ernennung von Bulu beteiligten sich auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Menschenrechtsgruppen. Einige der Studierende erwiderten die Polizeigewalt durch Flaschenwürfe. Zwei Demonstrierende wurden von der Polizei am Rande der Proteste unter Schlägen und Tritten festgenommen. Das Tor zum Campus der Boğaziçi-Universität ist unterdessen von Sicherheitskräften abgesperrt worden. Der polizeiliche Belagerungsring des Hochschulgeländes wurde noch immer nicht vollständig aufgelöst.
Boykott und weitere Proteste angekündigt
In einer im Namen der Studierendenschaft verlesenen Erklärung haben die Studenten der Boğaziçi-Universität derweil angekündigt, am morgigen Dienstag die Vorlesungen zu boykottieren. Am Mittwoch soll der Protest gegen die Ernennung von Melih Bulu fortgesetzt werden.
Boğaziçi-Studentin wegen Efrîn-Protest in Haft
In früheren Jahren wurden Rektoren an türkischen Universitäten intern gewählt, doch nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hat sich Staatspräsident Erdoğan den Zugriff auf die Hochschulen gesichert. Die Boğaziçi-Universität galt auch danach als eine der letzten Bastionen intellektueller Entfaltung ohne Angst vor Repressalien. Die Hochschule blickt auf eine lange Vergangenheit zurück. Sie wurde 1863 unter dem Namen Robert College als erste amerikanische Universität außerhalb der USA gegründet. 1971 wurde sie nach dem Bosporus umbenannt, an dem sie im europäischen Teil Istanbuls im Stadtteil Bebek liegt. 2018 wurden mehrere Studierende der Elite-Uni festgenommen, weil sie gegen eine islamistische Gruppe protestiert hatten, die „zu Ehren“ der Efrîn-Invasion Lokum verteilte. Die Festnahmen erfolgten auf Anweisung von Erdoğan, der die Studentinnen und Studenten „Verräter“ und „Terroristen“ beschimpft hatte. Eine der Betroffenen ist im Dezember zu einer mehr als einjährigen Haftstrafe verurteilt worden.