Während auch in der Schweiz die politische Debatte aufgeflammt ist, wie mit Mitgliedern der Terrormiliz „Islamischer Staat” (IS) umzugehen ist, hat am Mittwoch vor dem Militärgericht in Bellinzona ein Prozess unter genau umgekehrten Vorzeichen begonnen. Angeklagt ist ein ehemaliger Schweizer Unteroffizier, der in Nordsyrien gegen den IS kämpfte. Johan Cosar muss sich vor einem Militärtribunal wegen „Schwächung der Wehrkraft” verantworten, weil er für den assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (Mawtbo Folhoyo Suryoyo, MFS) im Einsatz war.
Der MFS ist Teil des Bündnisses der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und verteidigt christliche Dörfer gegen den islamistischen Terror. Laut Anklage sei Cosar in eine fremde Armee eingetreten, ohne dafür die Erlaubnis des Bundesrates einzuholen, und habe damit die Neutralität der Schweiz gefährdet. Dem 37-Jährigen drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Ebenfalls vor Gericht steht ein Cousin Johan Cosars, der beschuldigt wird, über die sozialen Medien Kämpfer*innen für den MFS rekrutiert zu haben.
Johan Cosar
Griff zur Waffe, um Genozid zu vermeiden
Der Angeklagte Cosar stammt aus einer aramäischen Familie aus der Türkei und ist Christ. Seine Familie lebt bereits in der dritten Generation in der Schweiz. Im Sommer 2012 reiste Cosar als Journalist nach Nordsyrien, weil er sich „ein unabhängiges Bild von der Situation vor Ort machen wollte”. Vor Gericht schilderte er, wie er in Nordsyrien eingeschlossen war, weil alle Grenzübergänge zur Türkei nicht mehr passierbar waren. Als gegen Ende 2012 die Situation schließlich eskalierte, entschied sich Cosar dazu, die christliche Minderheit mit der Waffe zu verteidigen, um einen Genozid zu vermeiden, aber auch zur Selbstverteidigung, weil er keinen anderen Ausweg sah. Die Lage sei sehr chaotisch und auch die christliche Gemeinschaft nicht einheitlich gewesen. „Es gab unter den Christen eine Pro-Assad-Fraktion”, so Cosar vor Gericht.
Verteidigen oder sterben
Die Bedrohung sei zunächst durch die Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger von Al-Qaida, und später durch IS-Dschihadisten mit ihren „ethnischen Säuberungen” gekommen. „Entweder verteidigst du dich in einer solchen Situation oder du stirbst”, gab Cosar zu Protokoll. Dabei bestritt er vor Gericht vehement, eine führende Rolle im Militärrat der Suryoye eingenommen zu haben. Er habe Dank seiner Erfahrung in der Schweizer Armee lediglich als Ausbilder für den Militärrat gewirkt und nur kleine Gruppen – vielleicht 20 Personen – geleitet. Er sei zwar integriert gewesen, aber lediglich als Freiwilliger ohne irgendwelche Pflichten. Von einem Kommando könne nicht die Rede sein. „Ein Kommandant verlässt seine Truppe nicht – das wissen Sie besser als ich”, sagte er mit Verweis auf seine Rückkehr aus Syrien im Jahr 2015.
Vater vom syrischen Geheimdienst verschleppt
Als Johan Cosar 2012 nach Nordsyrien reiste, war sein Vater Sait Cosar, der zu dem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender der Assyrischen Einheitspartei (Gabo d'Ḥuyodo Suryoyo) war, (die sich geweigert hatte, mit dem Regime zusammenzuarbeiten) bereits dort. Kontakte zu ihm hatte Cosar eigenen Angaben nach selten. Am 13. August 2013 erfuhr die Familie dann vom syrischen Geheimdienst von der Festnahme des Vaters. „Seither haben wir nichts mehr von ihm erfahren”, sagte Cosar. Er wurde wahrscheinlich umgebracht.
Unterdessen erklärte eine Sprecherin der Schweizer Militärjustiz, dass bei der Frage, ob der Tatbestand des fremden Militärdienstes erfüllt sei oder nicht, es nicht darum ginge, gegen wen dabei gekämpft wurde. Ob und inwiefern diese Frage bei der Strafzumessung eine Rolle spielt, obliege dem Gericht.
Die Verhandlung gegen Cosar wurde auf drei Tage angesetzt. Das Urteil wird für den heutigen Freitag erwartet. Der Verteidiger Cosars hat bereits angekündigt, einen Freispruch zu beantragen.