Systematische Kriminalisierung von Anti-IS-Kämpfer*innen

Aus einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE geht hervor, dass die deutschen Behörden systematisch Internationalisten kriminalisieren, die in Nordsyrien und Şengal gegen den IS gekämpft haben.

Dem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) schlossen sich tausende Menschen aus der ganzen Welt an, die nicht bereit waren, den Massakern der Terrororganisation zuzusehen. Mehrere Hundert Menschen machten sich aus Deutschland auf den Weg nach Rojava. Manche kämpfen bewaffnet, andere leisten zivile Aufbauarbeit. Nach Angaben der Bundesregierung sind 21 Personen aus Deutschland dabei ums Leben gekommen. Aus einer Kleinen Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, geht nun hervor, dass Aktivistinnen und Aktivisten, die nach Deutschland zurückkehren, systematischer Kriminalisierung durch den deutschen Staat ausgesetzt sind.

Bundesregierung: 249 Internationalisten aus Deutschland in Rojava und Nordsyrien

Die deutschen Behörden gehen von 204 Personen aus, die bis zum 10. April 2017 nach Rojava und Şengal ausgereist sind. Die Bundesregierung kann jedoch keine Angaben zu ihren dortigen Tätigkeiten machen. Weitere 45 Personen sollen bis zum 10. Oktober 2018 gefolgt sein. Während Ausreisen zu den Peschmerga der PDK in Südkurdistan nicht erfasst werden, schaut die Bundesregierung bei Menschen, die sich dem radikaldemokratischen Widerstand der YPG und YPJ in Rojava und Nordsyrien anschließen, offenbar ganz genau hin.

Bundesregierung verbreitet Fehlinformationen über YPG und YPJ

Dabei sind ihre Kenntnisse über die Verteidigungseinheiten offensichtlich bewusst falsch gehalten. So beschreibt die Bundesregierung die YPG und YPJ als den bewaffneten Arm der Partei der Demokratischen Einheit (PYD). Sie scheint sich allerdings selbst ihrer Darstellung nicht sicher zu sein. Während sie in der Drucksache 18/11912 vom 10. April 2017 die YPG und PYD synonym benutzte, gar von „Ausreisen zu PYD und PKK“ sprach und damit die YPG meinte, benutzt sie in der aktuellen Antwort die Formulierung: „Die YPG gelten als der bewaffnete Arm der in Nordsyrien aktiven […] PYD.“ Diese Falschinformationen gehen zurück auf fehlerhaften Analysen des Thinktanks der Bundesregierung SWP und verhetzende Darstellungen aus Türkei-nahen kurdischen Kreisen. Die YPG und YPJ sind im Gegensatz zu den südkurdischen Peschmerga eben keine Parteimilizen, sondern gesellschaftliche Verteidigungskräfte, in denen das gesamte gesellschaftliche Spektrum der Demokratischen Föderation Nordsyrien, Suryoye, Araber, Turkmenen und Kurden unabhängig von ihrer religiösen oder politischen Orientierung vertreten sind.

124 Rückkehrer aus Nordsyrien nach Deutschland

Bis zum 10. April 2017 sind nach Angaben der Bundesregierung 102 Aktivistinnen und Aktivisten zurückgekehrt. Bis zum 10. Oktober 2018 folgten 22 weitere. Auch hier ist die Bundesregierung nicht in der Lage, Organisationsmitgliedschaften oder Aktivitäten anzugeben. 21 aus Deutschland ausgereiste Aktivistinnen und Aktivisten sind im Kampf gegen den IS gefallen.

Zwölf Rückkehrer als „Gefährder“ und „Relevante Personen“ eingestuft

Die vor allem offiziell für IS-Dschihadisten angewandte Kategorie des „Gefährders“ oder der „Relevanten Person“, die mit tiefen Einschnitten in Grundrechte verbunden ist, wurde bzw. wird auf mindestens zehn rückgekehrte Aktivisten angewandt. Während drei Personen bereits vor April 2017 als „relevante Personen“ eingestuft worden waren, sind die restlichen sieben seitdem in diese Kategorie einsortiert worden. Dabei handelt es sich um drei Aktivist*innen aus Baden-Württemberg, zwei aus Berlin, eine aus Hessen und eine aus Nordrhein-Westfalen. Zwei Rückkehrenden wurden im Sinne der „politisch motivierten Kriminalität Ausländerextremismus“ von der Länderpolizei Baden-Württemberg bzw. Niedersachsen sogar als „Gefährder“ eingestuft. Die Bundesregierung führt bei den beiden ein Potpourri von möglichen Organisationsmitgliedschaften an. So sollen sie Mitglied bei Komalen Ciwan, YPG, HPG oder MLKP sein.

32 Ermittlungsverfahren gegen Rückkehrende

Dem Bundeskriminalamt sind 32 Ermittlungsverfahren bekannt. Es können weitaus mehr durch die jeweilige Länderpolizei sein. 27 Ermittlungsverfahren wurden nach Paragraph 129b des Strafgesetzbuches – der „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ eingeleitet. 16 der Verfahren wurden wegen „Absehen von der Verfolgung von Auslandstaten“ wieder eingestellt. Weitere Verfahren wurden gegen die übrigen Personen wegen „Verdachts des Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Straftat“, „Verstoß gegen das Vereinsgesetz“ und des „Anwerbens für einen fremden Wehrdienst“ geführt. 19 der so Kriminalisierten sind im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft, sechs der türkischen, weitere verfügen über irakische, österreichische und polnische Staatsangehörigkeiten oder sind staatenlos. Die genannten Ermittlungsparagraphen ermächtigen die Behörden zur Benutzung des vollen Spektrums der Ausforschung und Kriminalisierung.

Ulla Jelpke kommentierte die Antwort der Bundesregierung: „Ich halte aber schon die Aufnahme solcher Ermittlungen für eine ausgemachte Sauerei: Einerseits ist Deutschland Partner in der internationalen Allianz gegen den IS, andererseits wirft es Freiwilligen, die gegen die Terroristen vorgehen, vor, selbst Teil einer Terrorgruppe zu sein. Dahinter steht die alte, unselige Haltung der Kumpanei mit dem türkischen Regime, das den Kampf der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava für ‚Terrorismus‘ hält.“

Jelpke: Ermittler schikanieren Anti-Terrorkämpfer

Die Abgeordnete weiter: „Dass es gelungen ist, den sogenannten Islamischen Staat zurückzudrängen, ist auch den Bodentruppen der kurdischen YPG und ihrer freiwilligen Kämpfer zu verdanken. Sie jetzt bei ihrer Rückkehr mit Ermittlungsverfahren zu überziehen, weil sie angeblich selbst Mitglied einer terroristischen Vereinigung seien, ist grotesk. Die Ermittlungsbehörden schikanieren nicht nur zu Unrecht freiwillige Anti-Terror-Kämpfer, sondern sie verschwenden zugleich Ressourcen, die im Kampf gegen die Verbrecher des IS dringend benötigt werden. Dauernd wird über Zivilcourage und Engagement gegen Verbrechen gesprochen – warum werden dann Menschen, die geholfen haben, den IS zu besiegen, als Verbrecher abgestempelt? Ich würde mir vielmehr öffentliche Anerkennung für diese Internationalisten wünschen!“

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage kann unter folgendem Link eingesehen werden: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2018/10/KA-19_4514-YPG-R%C3%BCckkehrer.pdf

Die Antwort aus dem Jahr 2017 findet sich hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811912.pdf