Schweizer Nationalrat erkennt Völkermord an Ezid:innen an

Der Schweizer Nationalrat hat die IS-Massaker an den Ezid:innen Şengals als Völkermord anerkannt und bittet den Bundesrat, sich international für die Wiedergutmachung der begangenen Verbrechen einzusetzen.

Bundesrat soll sich für Wiedergutmachung einsetzen

Mit 105 zu 61 Stimmen hat der Schweizer Nationalrat die 2014 an der ethnisch-religiösen Minderheit der Ezid:innen im Nordirak begangenen Massaker der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Rahmen einer Erklärung als Völkermord verurteilt. Er bittet den Bundesrat, sich international für die Wiedergutmachung der begangenen Verbrechen einzusetzen.

Die Parlamentarier:innen folgten mit dem Votum einer Empfehlung der Außenpolitischen Kommission (APK-N), die sich zuvor knapp für die Erklärung ausgesprochen hatte. Darin verurteilt der Nationalrat die systematische und „mit genozidaler Absicht“ begangene Vertreibung, Vergewaltigung und Ermordung des ezidischen Volkes und die Zerstörung ezidischer Kulturstätten aufs Schärfste.


Nach Ansicht der Kommissionsmehrheit sendet das Parlament mit einer solchen Erklärung ein starkes politisches Signal gegen den islamischen Terrorismus und gegen Verletzungen des Völkerrechts aus. „Die Uno hat das Verbrechen als Völkermord eingestuft“, sagte die Grünenpolitikerin Sibel Arslan. Verschiedene Staaten seien dem Aufruf gefolgt. Man könne nun dazu beitragen, dass die Gräueltaten nicht unbestraft bleiben, so Arslan weiter.

Die Kommissionsminderheit wollte zwar das Leid der ezidischen Gemeinschaft nicht ausblenden, vertrat aber die Meinung, dass es nicht Aufgabe des Parlaments sei, weltweit begangene Verbrechen anzuerkennen. Dies würde einen „problematischen Präzedenzfall schaffen“, sagte Minderheitssprecher Pierre-André Page von der rechtspopulistischen SVP. Deshalb sei die Erklärung abzulehnen. Dies fand im Rat aber keinen Anklang.

Völkermord und Femizid in Şengal

Am 3. August 2014 hatte die Dschihadistenmiliz das ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal (Sindschar) im Nordirak überrannt. Etwa 10.000 Menschen, vor allem Männer und Jungen über 12 Jahre, wurden jüngeren UN-Schätzungen zufolge ermordet und rund 7.000 ezidische Frauen und Kinder als Sklaven verschleppt, verkauft, misshandelt, vergewaltigt oder als Attentäter missbraucht. 400.000 Menschen flohen – ein Großteil harrt bis heute in Lagern aus und wartet auf eine Rückkehr in die Heimat. Viele sind traumatisiert, vor allem jene rund 3.500 Frauen und Kinder, die der IS-Sklaverei entkommen konnten. Bis zu 2.700 weitere ezidische Frauen und Kinder werden bis heute vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.

Titelfoto: Ezid:innen auf der Flucht ins Şengal-Gebirge, August 2014 © Hayri Kiziler