Save the Children: 1.300 ezidische Kinder noch immer vermisst

Zehn Jahre nach dem IS-Genozid in Şengal werden noch immer rund 1.300 ezidische Kinder vermisst. Tausende weitere leben in Geflüchteten-Camps unter schwierigsten Bedingungen. Save the Children fordert mehr Hilfe für sie.

Zehn Jahre nach dem Genozid

Zehn Jahre nach dem Genozid an den Ezid:innen Şengals (Sindschar) ist das Schicksal von rund 1.300 damals verschleppten Kindern immer noch ungeklärt. „Tausende weitere Mädchen und Jungen sind bis heute obdachlos, leben in Geflüchteten-Camps oder unter schwierigsten Bedingungen in ihrer alten Heimat“, erklärte Save the Children am Donnerstag in Berlin. Die Kinderrechtsorganisation fordert mehr Hilfe für die Betroffenen, die bis heute unter den Folgen der Gewalt und Zerstörung leiden.

„Jesidische Kinder haben wie alle Kinder ein Recht auf Schutz, Sicherheit und Zugang zu Bildung“, betonte Jihan Akrawi, Leiterin der Programme für den Nahen und Mittleren Osten bei Save the Children Deutschland. „Doch auch nach zehn Jahren sind Familien immer noch zerrissen. Und weder in den Camps für Geflüchtete noch in Sindschar können Kinder sicher und gesund leben und die Bildung erhalten, die sie für eine hoffnungsvolle Zukunft brauchen. Save the Children setzt sich deshalb mit Nachdruck für mehr Investitionen in Bildung, Gesundheitsversorgung und sichere Lebensbedingungen für geflüchtete und zurückgekehrte jesidische Familien im Irak ein.“

Laut den Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen (UN) sind immer noch rund 200.000 Ezid:innen Vertriebene im eigenen Land. Nicht wenige sind obdachlos oder leben in Camps in der Kurdistan-Region des Irak (KRI), in denen es kaum Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung gibt. „Wer nach Sindschar zurückkehrt, findet auch zehn Jahre nach dem Massaker zerstörte Häuser, Straßen, Schulen und Kliniken vor; Wasser und Strom gibt es kaum“, beklagt Save the Children. Zudem machten Minen und Blindgänger die Gegend laut der Hilfsorganisation Humanity & Inclusion zu einer der am stärksten mit Sprengkörpern verseuchten Regionen des Irak.

Am 3. August 2014 überfiel die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) das im Nordirak gelegene Şengal mit dem Ziel, die bereits seit Jahrhunderten verfolgte ezidische Gemeinschaft auszulöschen. Durch systematische Massaker, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebten die Ezidinnen und Eziden den von ihnen als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen wurden nach Angaben der UN getötet, etwa die Hälfte waren Kinder. Auch unter den Tausenden, die auf ihrer Flucht ins Gebirge verhungerten, verdursteten oder an ihren Verletzungen starben, waren fast nur Kinder (93 Prozent). Bereits Jungen im Alter von sieben Jahren zwang der IS als Kindersoldaten in seine Ausbildungslager. Mädchen wurden vergewaltigt und sexuell versklavt, und mehr als 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.

Nach Schätzungen der Organisation Yazda werden bis heute etwa 2.700 Ezid:innen vermisst, darunter rund 1.300, die zum Zeitpunkt ihrer Entführung Kinder waren. Viele von ihnen werden bis heute systematisch vergewaltigt und als Sklavinnen gehalten und verkauft. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar. Die Organisation Nadia's Initiative nimmt an, dass 300 bis 400 Mädchen und Jungen unter 18 Jahren immer noch in den Händen des IS sind. Mehr als 3.500 Ezid:innen konnten gerettet werden, darunter 2.000 Kinder.


Anmerkung zur Schreibweise: Im deutschen Sprachraum ist Jesidin/Jeside gebräuchlich. Viele Organisationen nutzen als Eigenbezeichnung „êzîdisch“, während ANF in der Regel „ezidisch“ verwendet.


Titelfoto: Ezidisches Kind in Camp Newroz in Dêrik/Rojava wenige Tage nach seiner Rettung aus Şengal im August 2014 © Abdurrahman Gök/MA