Salafistische Spendensammlung für IS-Frauen in Nordsyrien
Unter dem Motto „Deine Schwester im Gefangenenlager“ sammelt ein türkisch-deutsches Salafistennetzwerk Geld für dschihadistische Machenschaften.
Unter dem Motto „Deine Schwester im Gefangenenlager“ sammelt ein türkisch-deutsches Salafistennetzwerk Geld für dschihadistische Machenschaften.
Eine salafistische Spendenkampagne macht derzeit Schlagzeilen. Die deutsch-türkische Organisation „Deine Schwester im Gefangenlager“ sammelt insbesondere im Zusammenhang mit dem aktuellen Fastenmonat Ramadan Geld für IS-Anhängerinnen in nordsyrischen Gefangenenlagern. Durch eine investigative Recherche des SWR wurden Informationen zu der Spendensammelaktion, die über Facebook, aber auch an Supermarktkassen stattfindet, zusammengetragen. Die Recherche weist auf eine Organisation hin, die ganz im Sinne der aktuellen Politik der Türkei die „Befreiung“ von hochgefährlichen IS-Dschihadistinnen aus Flüchtlings- und Internierungslagern wie den Camps Hol oder Roj anstrebt. In einem Propagandavideo wird massiv Hetze betrieben und ein finsteres Bild mit Hilfe von dunkeln Wolken und Stacheldraht mit Frauen und Kindern hinter Zäunen gezeichnet. Unterlegt ist die Szene mit dem Titel: „In den Camps der PKK müssen Tausende Frauen und Kinder um ihr Leben bangen“.
Türkische Geheimdienstrhetorik
Die Behauptung, die Internierungslager der Selbstverwaltung, in denen Zehntausende von Angehörigen von IS-Dschihadisten untergebracht sind, seien Lager „der PKK“, gehört zum typischen Repertoire der türkischen Geheimdienstrhetorik. Jegliche Selbstverwaltungsstruktur in Nordsyrien wird vom AKP/MHP-Regime mit „PKK“ gleichgesetzt.
Angebliche „Todeslager“
Dass viele Frauen in den Camps um ihr Leben bangen, ist richtig. Jedoch nicht vor „der PKK“ oder der Selbstverwaltung, sondern vor Mordtrupps des IS, der ein Schattenregime im Camp aufgebaut hat und bis vor Kurzem noch systematisch Personen ermordete, die nicht nach seinen Regeln leben wollten oder sich vom IS getrennt haben. Die salafistischen Propagandisten gehen sogar noch weiter und scheuen keinen NS-Vergleich, indem sie den Versuch einer humanen Unterbringung unter katastrophalen Ausgangsbedingungen als „Todeslager“ diffamieren. Hier wird deutlich, dass es den angeblich „unabhängigen Muslimen“ die zu der Kampagne aufrufen, nicht um humanitäre Hilfe, sondern um Propaganda für die Fortsetzung des IS-Kriegs in Syrien geht.
Gefälschte Bilder von Essenlieferungen
Die Organisation wirbt mit der Behauptung, sie betreibe „aktive Nothilfe für Schwestern und Waisen, die sich in den Camps befinden.“ Bilder angeblicher Essenslieferungen stellen nichts weiter als dreiste Fälschungen dar, türkisch-salafistische Organisationen sind in den Camps nicht offen aktiv. Wofür das Geld für „Winterpakete“ zum Preis von 28 Euro oder Gasflaschen für zwei Euro wirklich fließt, bleibt unklar. Es gibt sogar ein deutsches Spendenkonto. Man könne auch an Supermarktkassen alle 24 Stunden „Max 999 Euro“ bar einzahlen. Das Geld diene der Versorgung, unter anderem von „verletzten Schwestern“ im Camp.
Finanzierung salafistischer Strukturen
Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Kampagne der Finanzierung der „salafistischen Szene“ dient und außerdem ein Mittel der Propaganda sei. SWR zufolge kommen Summen im unteren fünfstelligen Bereich aus Spenden zusammen.
Zentrale in der Türkei
Der Initiator der Kampagne, Harun Y., äußerte gegenüber SWR, dass er und andere Organisatoren sich „nicht mehr in Deutschland“, sondern „überwiegend im Ausland“ aufhielten. Den Recherchen nach ist die Kampagne Teil eines salafistischen Netzwerks mit Zentrale in der Türkei. Noch deutlicher wird das in einem der Videos, das angeblich das Hol-Camp zeigen soll und in dem der mutmaßliche Gründer der Plattform, Yavuz Selim, in Erscheinung tritt. Das Auftauchen des in Menschenhandel verstrickten IS-Kaders in Militäruniform deutet auf zwei Fakten hin: Einerseits stammt das Video damit mit Sicherheit nicht aus dem Gefangenenlager al-Hol, andererseits wird damit die Verstrickung der Kampagne in den Dschihadismus deutlich.
Geld fließt möglicherweise in Befreiungsaktionen
Die Sicherheitsbehörden befürchten, dass die Gelder aus der Kampagne in Befreiungsversuche von Dschihadist:innen aus nordsyrischen Lagern fließen. Die Social-Media-Kanäle von „Deine Schwester im Camp“ teilen Videos aus der Türkei, die angeblich zeigen, wie IS-Dschihadistinnen aus al-Hol „befreit“ wurden. An diesen Operationen wirkte der türkische Geheimdienst MIT mit. Auch fordern angebliche Camp-Insassinnen auf Videos in deutscher Sprache ihre Freilassung von der „Atheisten PKK“. Nach SWR-Angaben finden in vier Bundesländern Ermittlungen wegen Terrorfinanzierung gegen solche Kampagnen statt: In Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Berlin.
Mihalic: Bundesregierung muss sich für Rückholung deutscher Staatsbürger einsetzen
Politiker:innen fordern ein flächendeckendes Vorgehen gegen salafistische Netzwerke, das Repression und Prävention vereint. Darüber hinaus müsse die Bundesregierung Rückholungen von Dschihadist:innen aus Deutschland selbst in die Hand nehmen, um solchen Kampagnen den Boden zu entziehen. Die innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion, die Polizistin Irene Mihalic, erklärte gegenüber Tagesschau: „Das Agieren solcher Organisationen ist sehr besorgniserregend und ich teile die Befürchtung, dass IS-Dschihadisten auf diese Weise unkontrolliert nach Europa einreisen könnten. Wir erwarten, dass die Bundesregierung endlich Farbe bekennt und eine kontrollierte Rückholung deutscher Staatsbürger in Gang setzt.“
Auch die Linksfraktion hatte immer wieder auf die kontrollierte Rückholung der Dschihadist:innen gedrängt. Die Bundesregierung versucht jedoch aufgrund ihrer engen Kollaboration mit dem türkischen Faschismus, die diplomatischen Kontakte mit der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien so gering wie möglich zu halten.