Sabine Leidig: Abdullah Öcalans Konzept verdient viel mehr Beachtung

Die Kasseler Linkspolitikerin Sabine Leidig hat in einer beeindruckenden Rede zum Welt-Kobanê-Tag ihre „Bewunderung im Herzen für die vielen klugen und mutigen kurdischen Menschen“ zum Ausdruck gebracht.

Auf der Treppe vor dem Rathaus von Kassel, zwischen den vergoldeten Löwenstatuen ist in meterhohen Buchstaben der Slogan der Frauenrevolution zu lesen: „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit). Am Welt-Kobane-Tag, dem 1. November, gingen Menschen an vielen Orten auf die Straße. In Kassel sprach die Vorsitzende der Linksfraktion im Rathaus, Sabine Leidig, klare Worte der Solidarität mit Rojava und gegen das PKK-Verbot. Die Rede wurde von den Zuhörer:innen der Demonstration und den Menschen in der belebten autofreien Einkaufsstraße aufmerksam verfolgt.

„Mit Bewunderung im Herzen"

„Ich spreche als solidarische Linke – mit Bewunderung im Herzen für die vielen klugen und mutigen kurdischen Menschen, die für Selbstbestimmung und Frieden kämpfen, für soziale und ökologische Gerechtigkeit und für Feminismus. In Rojava, aber auch in der Türkei, im Iran und anderswo“, sagte Leidig einleitend. Um die Bedeutung der Demonstration am 1. November herauszustellen, erklärte die Stadtverordnete, wie heilig die Hoffnung machenden jungen Menschen in Rojava sind, die die Freiheit verteidigen: „Der 1. November wird hier in Deutschland ‚Allerheiligen‘ genannt und ist dem stillen Gedenken an die Toten gewidmet. Ihr habt den 1. November Rojava-Tag genannt und ihn dem guten Leben in Freiheit gewidmet. Vielleicht sind die Heiligen unserer Zeit die jungen Menschen, die mutigen Frauen und alle, die mit Herz und Verstand die Hoffnung auf eine bessere Welt verteidigen.“

Die große Wertschätzung für die PKK und HDP erlebt“

Auf Anfrage der Demokratische Partei der Völker (HDP) hat die ehemalige Bundestagsabgeordnete an drei Delegationsreisen nach Kurdistan teilgenommen. „2016 war ich an der türkisch-syrischen Grenze und habe gesehen, wie stark und selbstbewusst und vor allem wie hilfsbereit und gut organisiert in großen Zeltlagern zigtausende Geflüchtete aus Syrien - viele Jesidinnen – versorgt wurden. Ohne staatliche Hilfe der türkischen Regierung. Die hat zur selben Zeit zugelassen, dass IS-Kämpfer mit Waffen versorgt wurden.“ Eine andere Reise führte Sabine Leidig anlässlich einer Newroz-Feier nach Amed (tr. Diyarbakir). „Ich habe gesehen, dass türkische Soldaten Teile der historischen Altstadt zerschossen und tausende Bewohner:innen um Hab und Gut gebracht hatten. Und dennoch Mut, Wiederaufbau, Selbstorganisation, Krankenversorgung, eine politische Kultur der Ermächtigung und überall Frauen gleichberechtigt an der Spitze. Ich bin als Wahlbeobachterin in kurdische Dörfer gereist, habe die Verankerung und die große Wertschätzung für die PKK und HDP erlebt. Ich erfuhr, dass Erdogan hunderte demokratisch gewählte Bürgermeister:innen und Kommunalpolitiker:innen der HDP absetzen ließ – viele ließ er ohne konkreten Grund ins Gefängnis werfen. Der Vorwurf lautet ‚Unterstützung einer terroristischen Organisation‘ – gemeint ist die kurdische Befreiungsbewegung.“

Parallelen zwischen Deutschland und der Türkei

Die Politikerin der Linken wies in ihrer Rede auch auf die Parallelen der Repression gegen die kurdische Bewegung in Deutschland und der Türkei aufgrund der engen Beziehungen der Bundesregierung mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hin: „Ich besuchte Ahmed - in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf. Er war dort jahrelang inhaftiert, ohne konkreten Grund. Der Vorwurf ‚Unterstützung einer terroristischen Organisation‘ – auch hier ist die kurdische Befreiungsbewegung gemeint. Ich habe mich geschämt. Unsere Regierung darf nicht als verlängerter Arm von Erdogan und seinem despotischen Regime funktionieren! Es ist höchste Zeit, dass das Verbot der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer Symbole in Deutschland aufgehoben wird! Ihre Kriminalisierung ist ein großes Unrecht.“

Beschämt über die fadenscheinige politische Moral“

In ihrer Rede protestierte die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion Kassel gegen die Angriffe auf die Selbstverwaltungsregion Nord- und Ostsyrien und die Doppelmoral im Umgang mit Kriegsverbrechen: „Auch heute bin ich beschämt über die fadenscheinige politische Moral, die hier zu Lande vorherrscht: einerseits wird die Tapferkeit der Menschen in der Ukraine gelobt, die sich gegen die verbrecherischen Angriffe von Putin wehren. Und sie werden mit allen Mitteln unterstützt. Aber zugleich gibt es keine Empörung und keine Hilfe, wenn der NATO-Partner Erdogan völkerrechtswidrig die Autonomie-Region Rojava attackiert und bombardiert.

Er will eine lebendige Alternative zu imperialer Herrschaft und Ausbeutung vernichten. Und gerade deshalb ist es wichtig hinzuschauen und demokratisch Gesinnte in aller Welt zur Solidarität zu gewinnen. Auch wenn es manchmal schwerfällt, noch mehr Leid und Unrecht, Zerstörung und Not an sich heran zu lassen. Rojava und das Modell der demokratischen Autonomie hat eine große Hoffnung entfacht: dass auch in Regionen, die von Krieg und Bürgerkrieg erschüttert sind, ein demokratisches Gemeinwesen aufgebaut werden kann. Dieses Konzept, das Abdullah Öcalan entworfen hat, verdient viel mehr Beachtung in der internationalen Politik. Und Rojava sollte ein geschätzter Lernort sein zur Überwindung von ethnischer oder religiöser Spaltung; ein Lernort für die Emanzipation von Frauen und auch für ein respektvolles Verhältnis zur Natur.“

Resolution für die Stadtverordnetenversammlung

Weiter berichtete Sabine Leidig, dass die Linke in Kassel eine Resolution für die Stadtverordnetenversammlung vorbereitet, damit mehr öffentliche Aufmerksamkeit entsteht: „Ich hoffe sehr, dass die Grünen und die Sozialdemokrat:innen, aber auch CDU und FDP mit uns die Angriffe der türkischen Armee auf Rojava verurteilen.“