Die Stadtverordnetenversammlung im Frankfurter Römer hat zum zweiten Mal eine Resolution gegen den türkischen Angriffskrieg in Kurdistan abgelehnt. Die Resolution nach Krefelder- und Berliner Vorbild wurde von den Linken und der CDU mit jeweils einem eigenen Antrag eingebracht, jedoch stimmten die Parteien der Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt, wie bereits im Juli dieses Jahres, dagegen. Grund für die Ablehnung ist der Koalitionsvertrag, in welchem sich die Koalitionspartner zusichern, nur gemeinsam zu Themen abzustimmen. Diesen Formalismus hat sich die FDP und ihr Vorsitzender Yanki Pürsün zu Nutze gemacht und mit einem Veto die Resolution verhindert. Pürsün heuchelte, dass das Stadtparlament nur für kommunale Themen zuständig sei und ließ die Resolution zum Ukraine-Krieg, welche im Februar einen Präzedenzfall in Bezug auf internationale Solidarität geschaffen hatte, unerwähnt. „Es ist enttäuschend, dass die Koalitionsparteien Grüne, SPD und Volt, die ausdrücklich und öffentlich Unterstützung geäußert haben, sich für die Koalitionsdisziplin entschieden haben, anstatt ein Zeichen gegen Faschismus und für die Menschenrechte zu setzen. Dass sie sich die politische Agenda offensichtlich von der FDP diktieren lassen, ist unverständlich“, erklärte Viyan Dersim, Ko-Sprecherin der Initiative „Defend Kurdistan“, welche die Resolution maßgeblich vorangetrieben hatte.
Defend Kurdistan!
Anlass der Resolution ist der aktuelle, seit April andauernde türkische Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan und der Drohnenterror in Rojava. Beide verstoßen nach Meinung von Expert:innen gegen das Menschen- und Völkerrecht. Die türkische Armee bombardiert zivile Ziele, setzt Chemiewaffen ein und tötet immer wieder gezielt Repräsentant:innen der demokratischen und multiethnischen Selbstverwaltung, welche unter anderem große Verdienste im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) geleistet haben.
Der Resolutionsvorlage vorangegangen war eine Vielzahl von Initiativen der lokalen „Defend Kurdistan“-Vernetzung, darunter die öffentlichkeitswirksame Besetzung des Büros des Bundesvorsitzenden und außenpolitischen Sprechers der Grünen, Omid Nouripour und einige Gespräche mit den Stadtverordneten. „Die Besetzung und der darauf folgende mediale und öffentliche Druck führten maßgeblich dazu, dass sich bei den Grünen die anfängliche Ablehnung in Zustimmung für eine Verurteilung des türkischen Angriffskrieges wandelte“, sagte Linus Debus, Ko-Sprecher von „Defend Kurdistan“.
FDP – Handlanger des türkischen Regimes
Anlässlich der Vorlage der Resolution in der Stadtverordnetenversammlung am letzten Donnerstag organisierte die Initiative „Defend Kurdistan“ eine Kundgebung auf dem Frankfurter Römer, um der Forderung nach Verabschiedung Nachdruck zu verleihen. In verschiedenen Redebeiträgen wurde auf die Lage in Kurdistan, den Drohnenkrieg gegen Şengal sowie Mexmûr und den Einsatz verbotener Chemiewaffen seitens des türkischen Staates in Südkurdistan aufmerksam gemacht. Bei gutem Wetter wurden viele Passant:innen erreicht, einige Gespräche geführt und zahlreiche Flyer verteilt. Die meisten der Vorbeigehenden zeigten ihre Solidarität mit den Anliegen der Initiative.
Im Vorfeld der Sitzung gab es eine Intervention türkischer Lobbygruppen, die in durchsichtiger Manier versuchten, in einem Rundbrief an die Abgeordneten gegen eine Verurteilung des Krieges in Kurdistan Stimmung zu machen. „Es ist traurig, dass diese offensichtlichen Versuche der direkten politischen Einflussnahme bei der FDP und ihrem Vorsitzenden Yanki Pürsün allem Anschein nach Erfolg hatten“, sagte Viyan Dersim und fügte hinzu: „Man stelle sich vor, ein russischer Lobbyverband hätte etwas vergleichbares vor der Abstimmung über die Resolution zum Ukraine-Krieg versucht, das mediale Echo und die Empörung wären - zu Recht – groß gewesen!“
Es ist bezeichnend, dass sich der FDP-Vorsitzende Yanki Pürsün in der Debatte um die Resolution nicht zu der Ablehnung seiner Partei äußern wollte. Im Anschluss an die Abstimmung äußerten sich Vertreter:innen von SPD und Linken auf der Kundgebung öffentlich zu der Entscheidung. Während Kristina Luxen (SPD) ihr Bedauern über das Ergebnis ausdrückte und Unterstützung für zukünftige Anliegen der Initiative versprach, stellte Michael Müller (Linke) klar, dass es nicht zweierlei Maß bei Völker- und Menschenrechten geben dürfe. Dem durch die Ukraine-Resolution geschaffenen Präzedenzfall müsse man auch in Bezug auf den türkischen Staat gerecht werden, forderte er.
Trotz allem wertet Linus Debus die Kampagne und die Aktionen rund um die Resolution als Erfolg: „Mit der Besetzung, der Kundgebung und den vielen Hintergrundgesprächen haben wir gezeigt, dass es möglich ist, etwas in der Stadtpolitik zu bewegen, wenn die verschiedenen internationalistischen Gruppen, Einzelpersonen und der kurdische Verein zusammenarbeiten. Natürlich sind wir enttäuscht über die Ablehnung und haben wenig Verständnis für die Haltung der Koalition, aber wir haben das Schweigen über diesen Krieg und die Verbrechen des türkischen Staates gebrochen. Wir werden auf den gemachten Erfahrungen aufbauen und unseren Kampf für eine politische Lösung der kurdischen Frage und ein Ende der deutschen Unterstützung für das AKP/MHP-Regime fortsetzen!“