Rund hundert „Terror“-Festnahmen wegen Social-Media-Posts

Im Zusammenhang mit dem neuerlichen Repressionsschlag gegen die demokratische Opposition in der Türkei ist die Zahl der Festnahmen auf rund hundert gestiegen. Den Betroffenen wird „Terrorpropaganda“ in sozialen Medien vorgeworfen.

Im Zusammenhang mit dem neuerlichen Repressionsschlag gegen die demokratische Opposition in der Türkei ist die Zahl der Festnahmen auf rund hundert gestiegen. Diese Zahl nannte das türkische Innenministerium am Montag in Ankara. Die inzwischen als „Anti-Terror-Operation“ deklarierte Festnahmewelle richtet sich gegen Aktive und Handelnde pro-kurdischer Politik und Zivilgesellschaft. Unter den Festgenommenen befinden sich Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker der HEDEP, DBP und HDP sowie Mitglieder der Jugendräte der Parteien.

Die Leitung der Operation liegt bei der „Abteilung Terrorismusbekämpfung“ der Generaldirektion für Sicherheit, die im Innenministerium angesiedelt ist. Laut Behördenangaben wurden bislang 98 Personen in achtzehn Provinzen des Landes festgenommen. Zu den Vorwürfen ist lediglich bekannt, dass der Verdacht der Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie deren Dachverband KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) in sozialen Medien im Raum stünde.

Einigen Betroffenen werde auch vorgeworfen, sich in Social-Media-Posts zugunsten der in Rojava aktiven Partei PYD und den Volksverteidigungseinheiten (YPG) ausgesprochen zu haben. Die Festnahmeoperationen fanden nach Angaben des Innenministeriums in folgenden Provinzen statt: Agirî (tr. Ağrı), Colemêrg (Hakkari), Çewlîg (Bingöl), Dîlok (Antep), Mêrdîn (Mardin), Riha (Urfa), Semsûr (Adıyaman), Sêrt (Siirt), Xarpêt (Elazığ), Adana, Antalya, Bursa, Izmir, Kocaeli, Konya, Muğla, Osmaniye und Yalova statt.

Die Türkei hat eine lange Tradition, das Strafrechtssystem und Anti-Terror-Gesetze übermäßig dafür einzusetzen, um alle Oppositionelle einzuschüchtern und zu verfolgen, insbesondere aus dem kurdischen Spektrum. Die Methode, jemanden der „Terrorpropaganda“ zu beschuldigen, um öffentliche Diskussionen einzuschränken und kritische Stimmen mundtot zu machen, insbesondere wenn es um die kurdische Frage geht, wird von der türkischen Justiz seit mindestens drei Jahrzehnten eingesetzt. Der rechtliche Ursprung dafür liegt im türkischen Terrorismusgesetz vom April 1991, das in einer Zeit verabschiedet wurde, als der schmutzige Krieg gegen die PKK auf seinem Höhepunkt war. Seit dem einseitigen Abbruch des Dialogprozesses zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung im Jahr 2015 hat sich der Einsatz dieser „Catch-All“-Anklage verstärkt.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis für Propaganda

Dabei geraten auch immer häufiger Nutzende sozialer Netzwerke in den Fokus der Repressionsbehörden und werden mit Anklagen überzogen, weil sie sich in Postings angeblich als Mitglieder von „Terrororganisationen“ zu erkennen gegeben haben oder Propaganda für diese betrieben hätten. Gemäß Artikel 7(2) des Anti-Terror-Gesetzes Nr. 3713 kann in der Türkei eine Person, die der „Propaganda für eine terroristische Organisation“ schuldig befunden wird, ein bis fünf Jahre Gefängnis erhalten. Diese Strafe kann um die Hälfte erhöht werden, wenn diese „Propaganda“ veröffentlicht wurde – sprich in sozialen Medien – oder über die Presse öffentlich gemacht wurde. Das Belastungsmaterial ist meistens sehr dünn und besteht häufig nur darin, bestimmte Hashtags verwendet zu haben, Meinungen in den sozialen Netzwerken verbreitet zu haben oder Oppositionsparteien, aber auch zivilgesellschaftlichen Organisationen anzugehören.

Titelbild: Razzia in der HDP-Vertretung in Amed, Archivaufnahme 2019