„Positive Agenda“: Türkische Charme-Offensive in Brüssel

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu wirbt in Brüssel für bessere Beziehungen mit der EU.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat in Brüssel Gespräche über eine Verbesserung der konfliktbeladenen Beziehungen mit der EU aufgenommen. Der Chefdiplomat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warb bei dem zweitägigen Besuch am Donnerstag für eine „positive Agenda“ im beiderseitigen Verhältnis. Das EU-Parlament forderte als Voraussetzung „spürbare Verbesserungen“ bei der Achtung von Demokratie und Grundrechten und die sofortige Freilassung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş.

Erdogan hatte Mitte Januar verkündet, „eine neue Seite“ im Verhältnis zu Europa aufschlagen zu wollen. Die Spannungen zwischen Brüssel und Ankara erreichten letztes Jahr durch eine Reihe von Konflikten einen neuen Höhepunkt. Dazu gehören die als illegal erachteten Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer. Die EU hat wegen des Streits um die Bohrungen in den von Griechenland und Zypern beanspruchten Meeresgebieten seit 2019 Sanktionen gegen Ankara verhängt und im Dezember weitere Strafmaßnahmen auf den Weg gebracht.

Charme-Offensive Folge der US-Wahl

In einem wichtigen Schritt hatten sich Ankara und Athen bereit erklärt, über die Erdgaslagerstätten sprechen zu wollen. Die Wiederaufnahme der 2016 ausgesetzten Sondierungsgespräche wurde für den 25. Januar angekündigt. Analysten halten Erdogans heuchlerische Charme-Offensive allerdings für eine Folge des Wahlausgangs in den USA. Der neue US-Präsident Joe Biden ist ein ausgewiesener Erdogan-Kritiker. Zudem hat das AKP-Regime die Türkei in eine tiefgreifende Wirtschaftskrise manövriert und will von einem besseren Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner EU profitieren. Eine weitere Bedrohung für die türkische Führung dürfte sein, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell angewiesen wurde, bis zum nächsten Gipfel im März Optionen für härtere Sanktionen vorzulegen – für den Fall, dass Ankara seine „einseitigen Aktionen und Provokationen“ wieder aufnimmt.

Özlem Alev Demirel: Worüber wird gesprochen?

„In Erdogans Interesse liegen ausschließlich Gespräche und Vereinbarungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, nicht solche über Menschenrechte. Genau dem darf die EU nicht nachgeben”, fordert die Düsseldorfer Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel (Linke). Zu befürchten sei allerdings, dass auch die EU alle Menschenrechtsthemen einmal mehr missachtet, um „ein konstruktives Verhältnis“ in wirtschaftlichen und geopolitischen Fragen nicht zu gefährden. Vor diesem Hintergrund habe die Öffentlichkeit ein Recht zu erfahren, worüber bei den EU-Türkei-Begegnungen genau gesprochen wird und welchen Druck die EU macht, um die Menschen in der Türkei zu unterstützen, verlangt die Linken-Politikerin.

Çavuşoğlu: EU-Parlament muss konstruktiv sein

Çavuşoğlu traf in Brüssel zunächst Vertreter des Europaparlaments. Das Parlament müsse „konstruktiv sein, um die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU wiederzubeleben“, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Zum Auftakt seines Treffens mit Borrell sagte er, beide Seiten strebten „gesündere und nachhaltigere“ Beziehungen an. Cavuşoğlu verwies dabei auch auf eine Einladung Erdogans an EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zu einem Besuch in die Türkei zu kommen.

EU-Sprecher will konkrete Fakten und Taten sehen

„Was für uns, die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten, sehr wichtig ist, ist die Umsetzung dieser Absichten und Erklärungen in die Praxis zu sehen“, sagte EU-Sprecher Peter Stano mit Blick auf die schmeichlerischen Worte aus Ankara. Die Statements würden zwar gut klingen, noch besser seien aber „konkrete Fakten und Taten“. Kritisch sieht Brüssel auch die Rolle des türkischen Regimes in den Konflikten in Syrien, Libyen und um Arzach (Bergkarabach).

Anfang der Woche hatte sich Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mit seinem türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu getroffen und von „positiven Signalen“ im Erdgas-Konflikt mit Griechenland gesprochen. Während Frankreich, Griechenland und Zypern intensiv auf eine harte Linie gegenüber der Türkei drängen, sind andere Länder, in erster Linie die Bundesrepublik, an einem diplomatischen Ansatz interessiert. Hintergrund ist die Angst vieler EU-Staaten vor Verstößen gegen den sogenannten Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016.

Asselborn: EU will dauerhafte Entspannung

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn betonte gegenüber AFP, die EU sei weiterhin „entschlossen, ihre Interessen und die ihrer Mitgliedsstaaten zu verteidigen“. Niemand habe die Absicht, die Kreide von der Tafel zu wischen. Die EU hoffe auf eine „dauerhafte Entspannung“ mit Erdoğan, was bedeuten würde, dass im März keine weiteren Sanktionen verhängt werden. „Aber wir müssen sicherstellen, dass wir bereit sind für den Fall, sollten wir keine andere Wahl haben“, warnte Asselborn.