Das Exekutivkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat eine Erklärung zu den schweren Erdbeben vom 6. Februar im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgegeben. In der Erklärung heißt es:
Die Freiheitsbewegung Kurdistans und das kurdische Volk wurden kurz vor dem Jahrestag des internationalen Komplotts vom 15. Februar 1999 [Verschleppung von Abdullah Öcalan in die Türkei], dem ,Tag des Völkermordes an den Kurd:innen', von einer weiteren großen Katastrophe heimgesucht und erschüttert. Bei diesem großen Erdbeben, das wir als Jahrhundertkatastrophe bezeichnen können, wurden Dutzende von Städten und Gemeinden sowie Tausende von Dörfern schwer beschädigt. Tausende von Gebäuden stürzten ein, Zehntausende von Menschen verloren ihr Leben, Hunderttausende wurden verletzt und Millionen von Menschen waren betroffen. Dies sind die Ergebnisse, von denen wir am fünften Tag nach der Katastrophe wissen. Die Folgen sind auch unter dem Einfluss des strengen Winters vielleicht noch viel gravierender als bekannt.
Wir teilen den Schmerz aller Betroffenen
Das kurdische Volk und die Völker der Türkei und Syriens haben durch das Erdbeben vom 6. Februar, dessen Epizentrum der Maraş war, einen sehr schweren Schaden erlitten. Wir Kurdinnen und Kurden sowie die Völker des Nahen Ostens und die gesamte Menschheit haben schwere Verluste erlitten und unser Schmerz ist groß. Zunächst einmal teilen wir den Schmerz aller, die von dem Erdbeben betroffen waren, und derer, die seine Auswirkungen spürten. Wir wünschen Allahs Barmherzigkeit für diejenigen, die bei dieser großen Katastrophe ihr Leben verloren haben, und eine rasche Genesung für die Verletzten. Unser Beileid gilt unserem ganzen Volk, insbesondere den Angehörigen der Opfer, den Völkern der Türkei und Syriens und der gesamten Menschheit. Wir danken allen, die sich an der Mobilisierung beteiligt und Hilfe geleistet haben, um die Schäden zu verringern, das Leid zu lindern und die Wunden dieser großen Katastrophe zu heilen. Wir glauben, dass unsere Völker und die Menschheit diesen Schmerz überwinden werden.
Der Staat und die Regierung töten mit Betrug und Lügen
Ein Erdbeben ist zweifellos eine Naturkatastrophe, die aus den Tiefen der Erde kommt. Es ist noch nicht genau bekannt, wie sehr die Ereignisse auf der Erdoberfläche diese Situation beeinflussen. Allerdings weiß die Menschheit heute genau, wo Erdbebengebiete liegen. Es ist bekannt, dass die Linie, an der sich das Erdbeben am Morgen des 6. Februar ereignete, ein bedeutendes Erdbebengebiet ist. Der Hauptgrund für die gravierenden Folgen ist die Tatsache, dass die Siedlungen nicht erdbebensicher gebaut und keine ernsthaften Maßnahmen für ein mögliches Erdbeben getroffen wurden. Außerdem ist jetzt klar, dass die zig Milliarden Dollar, die jahrelang als Erdbebensteuer von der Gesellschaft erhoben wurden, nicht für diesen Zweck ausgegeben wurden, sondern an plündernde AKP/MHP-Anhänger vergeben worden sind. Es ist also nicht das Erdbeben, das tötet, sondern der Staat und die Regierung, die die Öffentlichkeit mit Betrug und Lügen täuschen.
Hauptverantwortlich ist die AKP/MHP-Regierung
Begnügen wir uns vorerst mit der Feststellung, dass Erdbeben eine Naturkatastrophe sind. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass die AKP/MHP-Regierung entgegen ihrer Ankündigungen tatsächlich keine Maßnahmen ergriffen hat. Das Erdbeben vom 6. Februar hat die Realität der AKP/MHP-Regierung in all ihren Aspekten offenbart und demaskiert. Die Realität sieht folgendermaßen aus: Erstens hat die Regierung keine Vorkehrungen gegen das Erdbeben getroffen und zu diesem Zweck das von der Bevölkerung gesammelte Geld an ihre eigenen Anhänger vergeben. Zweitens sind die Institutionen, die von der Regierung für solche Katastrophen eingerichtet wurden, unzureichend bei der Bewältigung des Erdbebens. Mit anderen Worten: Die AKP/MHP-Regierung hat die notwendigen Hilfs- und Rettungsmaßnahmen nach dem Erdbeben nicht angemessen durchgeführt und die Gesellschaft sich selbst überlassen. Aus diesen beiden Gründen ist die Regierung hauptverantwortlich für die Schäden und die Zahl der Toten. Drittens versucht die AKP/MHP-Regierung durch die Ausrufung des Ausnahmezustands, die Folgen des Erdbebens zu politisieren und auf dieser Grundlage die Lebensdauer der Regierung zu verlängern.
Keine Hilfe beim Staat suchen
Die von unserem Volk bisher gezeigte Solidarität hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, das Leid zu teilen und zu lindern, auch wenn sie nicht völlig ausreichend ist. Insbesondere nach der Überwindung des anfänglichen Schocks ist klar, dass auf der Ebene der Mobilisierung eine sehr wichtige Solidarität stattgefunden hat. Selbst der Ausnahmezustand des AKP/MHP-Faschismus konnte diese Situation nicht verhindern. Es ist jedoch angebracht, auf folgende Punkte hinzuweisen: Ganz offensichtlich ist es nicht richtig, wenn Gesellschaften ihr Leben und ihr Schicksal in einem solchen Ausmaß dem Staat anvertrauen. Anstatt nach einer Katastrophe den Staat um Hilfe zu bitten, ist es eindeutig besser, sein Schicksal vorher in die eigenen Hände zu nehmen. Die faschistische AKP/MHP-Regierung hat die Anforderungen an einen Staat erfüllt und das angeblich für Erdbeben gesammelte Geld zu ihrem eigenen Vorteil verwendet. Die Realität des Staates und der Regierung, um die es hier geht, muss von allen Völkern richtig verstanden werden. Anstatt den Staat um Hilfe zu bitten, sollten die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich als Gesellschaft organisieren.
Eine Frage der Menschlichkeit
Unsere Freiheitsbewegung hat vom ersten Moment an alle Völker und die Menschheit zur Solidarität aufgerufen. Auf der Grundlage des Verständnisses, dass gesellschaftliche Solidarität lebendig hält, haben wir insbesondere unser Volk im Ausland sowie in Süd- und Ostkurdistan um Hilfe für Nord- und Westkurdistan gebeten. In dem Bewusstsein, dass vom Staat nichts zu erwarten ist, hat unsere Bewegung alle revolutionären und patriotischen Kräfte angewiesen, sich im Zuge der Mobilisierung an den Rettungsarbeiten und der Trümmerbeseitigung zu beteiligen. Dabei gilt der Grundsatz, dass alle, die sich selbst als Mensch bezeichnen, ihre Mittel mit denen teilen sollten, die unter dem Erdbeben gelitten haben. Um den durch das Erdbeben verursachten Leiden keine neuen hinzuzufügen, wurden alle revolutionären Kräfte dazu aufgerufen, keine offensiven Aktionen durchzuführen, solange sie nicht angegriffen werden. Diese Haltung unserer Bewegung wird so lange fortbestehen, bis das schwere Leid, das durch das Erdbeben verursacht wurden, gelindert und beseitigt ist.
Den AKP/MHP-Faschismus zur Rechenschaft ziehen
Es ist ganz klar, dass der AKP/MHP-Faschismus mit dem Erdbeben vom 6. Februar wieder einmal auf frischer Tat ertappt wurde. Es wurde aufgedeckt, wie die Regierung die vom Volk erhobene Erdbebensteuer für seine Anhänger geplündert und in den Krieg gegen das kurdische Volk investiert hat. Jetzt will sie die Folgen des Erdbebens als Rechtfertigung für einen Krieg heranziehen und mit der Verhängung des Ausnahmezustands ihren Machterhalt verlängern. Zweifellos werden alle Völker der Türkei, insbesondere die Kurd:innen und die revolutionär-demokratischen Kräfte, diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen und wissen, wie sie den AKP/MHP-Faschismus in dem Leid, das er verursacht hat, ersticken können. Sie werden den AKP/MHP-Faschismus für alle seine Handlungen zur Rechenschaft ziehen, eine nach der anderen. Sie werden es nicht zulassen, dass die Wahlen wegen des Erdbebens verschoben werden, und sie werden den Faschismus in der Geschichte begraben.
Solidarität ist eine notwendige Voraussetzung für die Gesellschaft
Es liegt auf der Hand, dass sowohl das schwere Erdbeben als auch die strengen Winterbedingungen die Bemühungen um die Heilung der Wunden und die Linderung des Leids über einen langen Zeitraum ausdehnen werden. Nicht nur bei der Beseitigung der Trümmer, sondern auch bei der Beseitigung der schweren Schäden, die durch das Erdbeben verursacht wurden, muss unsere Bevölkerung die notwendige Solidarität zeigen und in einem Zustand ständiger Mobilisierung leben. Sie müssen die Lebensmittel in ihren Händen, das Haus, in dem sie leben, und die Güter, die sie benutzen, mit den Menschen teilen, die unter dem Erdbeben gelitten haben. Das ist eine notwendige Voraussetzung für ein existierendes Volk und eine funktionierende Gesellschaft. Wir glauben, dass unser Volk immer in einer solchen Haltung der Solidarität und des Teilens leben wird.
Man sagt, dass in jedem Übel auch Gutes steckt, und wir hoffen, dass die Erdbebenkatastrophe auch zur Freiheit beitragen wird. Unsere Bewegung hat bereits im Kampf gegen die Folgen des Erdbebens in Wan auch für Freiheit gekämpft, und wir hoffen, dass sie im Kampf gegen die Folgen dieses Erdbebens siegen und die Freiheit Kurdistans und die Demokratisierung der Türkei auf der Grundlage der physischen Freiheit von Rêber Apo sicherstellen wird. Auf diese Weise werden die Bewegung und das Volk in der Lage sein, das schwere Leid, das wir erfahren haben, zu lindern.
In diesem Zusammenhang teilen wir erneut den Schmerz unseres Volkes und rufen alle auf, sich ständig und verstärkt mit denjenigen zu solidarisieren und zu teilen, die unter dem Erdbeben gelitten haben."