Der Reisepass des 18-jährigen deutschen Staatsangehörigen Solîn G. wurde im September eingezogen. Die Polizei fuhr mit drei Einsatzwagen vor der Wohnung ihrer Familie in Oberhausen vor und durchsuchte die Räumlichkeiten. Über den Fall berichtete vergangene Woche Serhat Ararat in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Solîn sagt, dass sie wie ihre Mutter dafür bestraft wird, ihre kurdische Identität zu verteidigen. Sie ist in kurdischen Einrichtungen aufgewachsen und nimmt seit etwa sieben Jahren an kulturellen Aktivitäten wie Folklore im Demokratischen Kurdischen Gemeindezentrum in Duisburg teil. Man kann sie bei allen Aktionen und Veranstaltungen sehen, die für die Freiheit und die Rechte der Kurd:innen in der Region organisiert werden.
Reisepass nach Türkei-Besuch beschlagnahmt
Als sie in diesem Jahr zu einem Familienbesuch in die Türkei reiste, wurde sie von der deutschen Polizei am Flughafen festgehalten und gefragt, warum sie in die Türkei fliege, erzählt Solîn: „Ich blieb etwa einen Monat in der Türkei. Als ich im Juli nach Deutschland zurückkehrte, wurde unsere Wohnung durchsucht und mein Pass beschlagnahmt."
Familienbesuch wird zum Waffentraining
Solîn beschreibt ihre Erlebnisse wie folgt: „Die Polizei kam an die Wohnungstür und verlangte meinen Pass. Als ich nach dem Grund fragte, sagten sie: ,Hier, lesen Sie den Brief'. Der Brief erwähnte kurdische Feste, Demonstrationen und Veranstaltungen, an denen ich teilgenommen hatte. In dem Schreiben hieß es sogar, dass ich zweimal in die Türkei gereist sei, um eine Waffenausbildung zu absolvieren, dass ich deshalb als Gefahr angesehen werde und dass ich die Menschen in meiner Umgebung gefährde."
Gefährdung der deutsch-türkischen Beziehungen
Die Anschuldigungen gingen sogar noch weiter, erzählt Solîn: „Sie sagten auch: ,Du verdirbst unsere Beziehungen zur Türkei.' Und aus diesem Grund haben sie meinen Pass eingezogen. Ich kann nicht mehr aus Deutschland ausreisen, außer in die Türkei."
Sie sei aufgefordert worden, sich vom kurdischen Freiheitskampf fernzuhalten. Ihren Pass werde sie erst zurückbekommen, wenn die Behörden überzeugt seien, dass sie die zwischenstaatlichen Beziehungen nicht gefährde. Solîn sagt: „Das ist nicht das erste Mal. Vor drei Jahren sind sie gegen meine Mutter vorgegangen. Sie wollten mich und meine Schwester von meiner Mutter wegholen. Doch dank eines intensiven juristischen Kampfes und der entstandenen Öffentlichkeit machten sie einen Schritt zurück. Jetzt beschäftigen sie sich wieder mit uns.“
„Sie sollen meine Familie zufrieden lassen“
Solîn ist in Deutschland geboren und aufgewachsen: „Ich bin deutsche Staatsbürgerin, habe mein Abitur gemacht und werde nächstes Jahr an der Universität Psychologie studieren. Ich bin nicht so gefährlich, wie sie behaupten. Was wir durchmachen, beunruhigt unsere ganze Familie. Meine Mutter ist diejenige, an der sie sich wirklich rächen wollen. Sie sollten aufhören, sich mit unserer Familie anzulegen. Wir erwarten Unterstützung von der Öffentlichkeit."
Zozan G. sollte das Sorgerecht entzogen werden
Die Mutter von Solîn, Zozan G., lebt seit 42 Jahren in Deutschland. Sie ist Mutter von fünf Kindern und seit 2014 politisch aktiv. 2019 wurde ihr vom Staatsschutz Kindeswohlgefährdung vorgeworfen, da eine der Töchter an Demonstrationen der kurdischen Bewegung teilgenommen hatte und dort ihre Personalien festgestellt worden waren. Daraufhin sah die Behörde sich veranlasst, eine Meldung beim Jugendamt zu machen, offenkundig in dem Versuch, die Familie einzuschüchtern und von politischen Aktivitäten abzubringen. Obwohl das Jugendamt ausdrücklich keine Kindeswohlgefährdung feststellte, wurde ein Verfahren angestrengt, das im Januar 2020 mit einer Verpflichtungserklärung endete. Im Prozess stellte sich heraus, dass die Telefone der Familie seit 2017 abgehört wurden.
„Wir lassen uns nicht einschüchtern“
Zozan glaubt, dass sie das Sorgerechtsverfahren nur aufgrund des starken öffentlichen Drucks gewonnen habe. „Der deutsche Staat sieht das Gerichtsverfahren, das ich 2020 gewonnen habe, als Niederlage an und will sich jetzt über meine Tochter an mir rächen. Wir versuchen auf dem Rechtsweg, Solîns Pass zurückzubekommen. Sie können uns nicht mit solchem Druck einschüchtern. Wir glauben an diesen Kampf und werden nicht nachgeben", sagt Zozan.