Ende letzten Jahres ist ein neuer Fall von Repression gegen die kurdische Community bekannt geworden. Dabei handelt es sich dieses Mal um eine sehr perfide Konstruktion, die besonders politisch aktive Mütter ins Visier nimmt. In Oberhausen soll Zozan G., Mutter von fünf Kindern, das Sorgerecht entzogen werden. Der alleinerziehenden, berufstätigen Frau wird unterstellt, dass sie durch ihre politischen Aktivitäten das Wohl ihrer Kinder gefährden würde.
Wie politisches Engagement in Zusammenhang mit einer Kindeswohlgefährdung gebracht werden kann, lässt ein äußerst zweifelhaftes Verständnis der Verantwortlichen von Kindeswohl deutlich werden. Zozan G. sagt selbst dazu: „Ich möchte meine Töchter zu selbstbewussten, selbstbestimmten, mündigen Frauen erziehen, die eine eigene Meinung haben und für sie einstehen können“. Dabei spielt für sie auch die Auseinandersetzung mit der Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Gesellschaft sowie das Kennenlernen der kurdischen Sprache, Kultur und ihres Widerstands eine wichtige Rolle. „Ich selber sehe mich als Verteidigerin von Menschen- und vor allem Frauenrechten und setze mich für eine demokratische Gesellschaft auf Grundlage von Frauenbefreiung ein.“ Dass sie es als wichtig erachtet, dass ihre Töchter an politischen Aktivitäten teilnehmen und sich dadurch selbst kennen lernen, gefährdet nicht das Wohl ihrer Kinder, sondern stärkt sie vielmehr, erklärt das in Düsseldorf ansässige Kurdische Frauenbüro für Frieden – Cenî e.V. „Gerade vor dem Hintergrund der auch in Deutschland noch immer vorherrschenden Geschlechterungleichheit und der zunehmenden Gewalt gegen Frauen und Migrant*innen leistet Zozan mit der Erziehung ihrer Töchter zu politischen Subjekten vielmehr einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen ihrer Kinder”, unterstreicht der Verein.
Demokratisches Engagement als „Kindeswohlgefährdung“?
Bundesweit sind Frauenorganisationen und -initiativen wütend über den Versuch, eine Mutter am politischen Engagement für Menschenrechte, Frauenrechte und für Rojava zu hindern. Auch Cenî fragt sich: „Was legitimiert eine Behörde, eine gut integrierte, ihre politisch-demokratischen Grundrechte wahrnehmende Familie auseinander zu reißen, nur weil deren politische Einstellung scheinbar einigen besonders motivierten Staatsschützern ein Dorn im Auge ist? Wir stellen uns außerdem die Frage, welche Motivation hinter der außerordentlichen Anstrengung der Richterin steht, entgegen der Einschätzungen des Jugendamts, dass keine Gefährdung vorliege und die Untersuchungen eingestellt werden, das Verfahren gegen Zozan weiterzuverfolgen. Vor dem Hintergrund, dass sich Jugendämter mit wirklichen Fällen von Kindeswohlgefährdung zu befassen haben, erscheint es mehr als nur fraglich, solchen Aufwand zu betreiben. Wir hoffen, dass sich Jugendamt und Gericht nicht weiter für eine offensichtlich politisch motivierte Verleumdung instrumentalisieren lassen.”
Bei dem Vorgehen der Justiz handele es sich um einen weiteren Fall von „rassistischer und sexistischer Repression” gegen politisch aktive Kurdinnen, so der kurdische Frauenverein. „Wir fordern die sofortige Einstellung des Verfahrens und rufen alle dazu auf, sich am 22. Januar um 8:30 Uhr vor dem Familiengericht Oberhausen auf dem Friedensplatz zu versammeln, um ein Zeichen für die politische Selbstbestimmung von Frauen zu setzen!” Der nicht-öffentliche Gerichtstermin beginnt um 9 Uhr.
Women Defend Rojava: Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf uns alle!
Das Berliner „Women Defend Rojava”-Komitee solidarisiert sich ebenfalls mit Zozan G. und ihren Kindern. In einer Stellungnahme heißt es: „Weil Zozan ihre Kinder, v.a. ihre jungen Töchter zu selbstbewussten, für ihre Meinung und ihre Rechte einstehende Frauen - also zu politischen Subjekten erziehen will, anstatt sie allein der patriarchalen Gehirnwäsche zu überlassen, ist sie jüngst ins Visier der Staatsschützer geraten. Ihr wird vorgeworfen durch ihre politischen Aktivitäten ihre Kinder zu gefährden.
Wir finden es ungeheuerlich, einen solchen Zusammenhang herzustellen und sehen darin einen Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf politische Teilhabe von Migrantinnen und insbesondere von Frauen. Einer Mutter wird damit gedroht das Sorgerecht zu entziehen, weil sie politisch aktiv ist. Zozan erzieht ihre Kinder zu politisch bewussten und verantwortungstragenden Mitgliedern der Gesellschaft, indem sie zum Beispiel ihre Kinder mit auf Demonstrationen nimmt. Die Drohung mit dem Entzug des Sorgerechts erreicht ein neues Level von rassistischer und sexistischer Diskriminierung und Entmündigung.
Wir sehen nicht nur den Widerspruch des staatlichen Handelns zu dem eigens grundgesetzlich verankerten Schutz der Familie gem. Art 6GG, sondern auch die Notwendigkeit der autonomen politischen Erziehung unserer Kinder. Sowohl das deutsche Bildungssystem als auch die kapitalistische Medienlandschaft lehrt unseren Kindern männerdominierte Ansichten und sexistische Verhaltensweisen. Es liegt an uns, Mädchen zu selbstbestimmten und handlungsfähigen Subjekten der Gesellschaft zu erziehen. Dieses Recht werden wir uns unter keinen Umständen nehmen lassen! Es sind die Kinder der Mütter und nicht des Staates.
Wir beobachten die Entwicklungen der Entdemokratisierung der Gesellschaft durch solcherlei Maßnahmen mit großer Sorge und Wachsamkeit. Wir drücken Zozan unsere volle Solidarität aus und werden einen solchen Angriff nicht einfach hinnehmen! Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf uns alle! Frauen, die kämpfen sind Frauen, die leben!”