Operation gegen Istanbuler Universitätselite

In Istanbul stürmte die Polizei am frühen Morgen die Wohnungen mehrerer Professoren und Dozenten der Elite-Universitäten Bilgi und Boğaziçi. Linke Medien sprechen von einer zweiten Kavala-Operation.

Bei einer Operation gegen die Istanbuler Universitätselite wurden am frühen Morgen mehrere Akademiker*innen festgenommen. Konkret betrifft die neue Repressionswelle Professoren und Dozenten der Elite-Universitäten Bilgi und Boğaziçi (Bosporus). Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten versucht mit den Gezi-Protesten im Jahre 2013 die türkische Regierung gewaltsam zu stürzen. Um sechs Uhr stürmten Polizei und Sondereinsatzkräfte zahlreiche Wohnungen. Festgenommen wurden bisher die Professorin Betül Tanbay, die auch Vizepräsidentin der europäischen Mathematikgesellschaft ESP (European Mathematical Society) ist, der Professor Turgut Tarhanlı, Meltem Aslan Çelikkan, Yiğit Ekmekçi, Asena Günal, Ali Hakan Altınel und fünf weitere Personen, deren Identitäten zur Zeit noch nicht bekannt sind. Im Rahmen der Operation kam es auch in Kaş in der Mittelmeerprovinz Antalya zu einer Festnahme. Dort nahm die Polizei die Akademikerin Çiğdem Mater fest. Mater ist Produzentin zahlreicher sozialkritischer Filme und befand sich zu Dreharbeiten in Kaş. Sie soll noch heute nach Istanbul überstellt werden. Laut einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur AA liegen insgesamt 20 Anordnungen zur Festnahme vor.

Zweite Kavala-Operation

Linke Medien in der Türkei sprechen von einer zweiten sogenannten Kavala-Operation. Osman Kavala, Vorsitzender der Kulturstiftung Anadolu Kültür, ist einer der führenden Vertreter der Zivilgesellschaft und befindet sich seit November des vergangenen Jahres ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft. Festgenommen wurde er am 19. Oktober 2017 nach der Rückkehr von einer Reise aus der Provinz Dîlok (Antep), wo er zusammen mit dem Goethe-Institut ein Projekt für Flüchtlinge vorbereitet hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm „versuchten Umsturz der Regierung“ vor. Bei den heute festgenommenen Akademikern handelt es sich um Mitarbeiter seiner Kulturstiftung. So ist Yiğit Ekmekçi der Stiftungs-Vizevorsitzende, Kulturmanagerin Asena Günal die Hauptkoordinatorin, Çiğdem Mater und Meltem Aslan stehen der Anadolu Kültür beratend zur Seite.

Absurder Appell an abgewanderte Wissenschaftler

Gestern richtete der türkische Minister für Industrie und Technologie, Mustafa Varank einen Appell an die ins Ausland migrierten Wissenschaftler und forderte deren Rückkehr. Die Türkei sei ein attraktives Forschungsland. Die Möglichkeiten, Forschung zu betreiben, seien enorm, sagte Varank einen Tag vor der Festnahmewelle gegen die Universitätselite.

Türkische Zivilgesellschaft Störfaktor für Erdoğan und AKP

Die Stiftung Anadolu Kültür und ihr Vorsitzender Osman Kavala sind Erdoğan und der AKP-Regierung bereits seit Jahren ein Dorn im Auge ist. Der Philanthrop Kavala steht für Dialog, Begegnung und Versöhnung und damit eben für alles, woran es der Türkei mangelt. Mit seiner Stiftung fördert er vor allem Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten, oftmals mit internationaler Ausrichtung. In Amed (Diyarbakir) baute Kavala beispielsweise das Kulturzentrum „Diyarbakir Kültür Merkezi“ auf. Zu seinen Anliegen gehört auch die Aussöhnung der türkischen und armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Sein Engagement stellt somit den Gegenentwurf zur türkischen Staatsideologie dar, die unter dem Motto „Eine einzige Nation, eine einzige Flagge, ein einziger Staat, ein einziges Heimatland“ das homogene Einheitsvolk propagiert.

Im März waren mehrere Studierende der Boğaziçi-Universität auf Betreiben Erdoğans verhaftet worden. Die Studenten hatten gegen eine Gruppe protestiert, die „zu Ehren der Besatzung von Efrîn“ Süßigkeiten auf dem Campus verteilte. Daraufhin wurden sie vom Staatspräsidenten öffentlich als „Terroristen” bezeichnet und kriminalisiert.