„Ohne breiten Kampf wird Isolation nicht enden“

Gülseren Yoleri vom Menschenrechtsverein IHD und Hüsnü Taş vom Gefangenenhilfsverein TUHAY-DER weisen darauf hin, dass die Isolation in den türkischen Haftanstalten nur durch eine breite soziale Bewegung durchbrochen werden kann.

Der Hungerstreik für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und für eine Ende der zerstörerischen Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen dauert nun bereits 60 Tage an. An dem Hungerstreik nahmen bereits mehrere tausend Gefangene jeweils in Fünftagesschichten teil. Die Vorsitzende des Büros des Menschrechtsvereins IHD in Istanbul, Gülseren Yoleri, und der Ko-Vorsitzende des Vereins der Angehörigen von Gefangenen (TUHAY-DER) in Marmara, Hüsnü Taş, berichten im ANF-Gespräch über die aktuelle Situation des Widerstands.

Yoleri: Isolation ist Folter

„Es gibt zwei grundlegende Dinge, die bekannt sein müssen: Erstens ist Isolation eine Form der Folter. Sie zielt darauf ab, die Persönlichkeit der Gefangenen zu zerstören, ihre Sozialität zu vernichten und jegliche Solidarität zu verhindern”, erklärt Gülseren Yoleri. „Zweitens wird die Isolation in allen Gefängnissen umgesetzt, aber am schwersten ist sie weiterhin auf Imrali.“

Isolation hat sich mit der Pandemie dramatisch verschlimmert“

Yoleri weist darauf hin, dass die Gefangenen in ihren Erklärungen und Briefen beklagen, dass sich die Isolation in allen Gefängnissen mit der Pandemie dramatisch verschlimmert habe. Sie unterstreichen, dass sich ihr Hungerstreik nicht nur gegen die Isolation auf Imrali, sondern gegen die Isolation und die Rechtsverletzungen in allen Gefängnissen richtet.

Negative Haltung der Regierung gegenüber dem Frieden“

Zum Imrali-System erklärt Yoleri: „Die Isolation auf Imrali wird in enger Beziehung zur negativen Haltung der Regierung gegenüber einem Friedensprozess betrachtet. Es gibt auch Praktiken, die alle Gefangenen ohne Unterschied bedrohen, aber viele der Vorschriften und Praktiken auf Imrali verstoßen gegen den Grundsatz der Gleichheit bei der Vollstreckung von Strafen. Es ist offensichtlich, dass der Hungerstreik als Warnung dient, um Aufmerksamkeit auf all diese Probleme zu ziehen. Wir hoffen, dass er nicht über dieses Maß hinausgeht.“

Der gesellschaftliche Kampf wird entscheidend sein“

Yoleri bekundet ihre große Sorge um die Gefangenen, insbesondere da die Regierung keinerlei Interesse an der Wahrung von Gesundheit und Leben der Gefangenen zeige. Sie fährt fort: „In diesem Sinne gibt es allein wegen des Hungerstreiks so gut wie keine Chance auf eine positive Herangehensweise an die Forderungen der Gefangenen. Andererseits stärkt die Pandemiesituation die Möglichkeit eines sozialen Aufschreis. Was wird also passieren? Es ist zwingend erforderlich, dass der Hungerstreik auf richtige Weise geführt wird, damit keine größeren Schäden entstehen. Der Staat ist natürlich für die Gesundheit und das Leben der Gefangenen verantwortlich. Natürlich ist es wichtig, ihn an seine Verantwortung zu erinnern."

Hungerstreik kein erfolgversprechendes Mittel gegen Isolation“

„Auf der anderen Seite ist es jedoch auch ein Problem, sich nicht auf die eigentlichen Fragen, sondern auf den Hungerstreik zu konzentrieren und diesen zu glorifizieren. Der Hungerstreik sollte nicht als ein erfolgversprechendes Mittel zur Beseitigung der Isolation betrachtet werden. Denn die Isolation ist systematisch und weit verbreitet. Sie wird aus politischen Motiven umgesetzt und diese politischen Motive können nur durch die Stärke des sozialen Kampfs geändert werden. Es ist die Aufgabe der demokratischen Kräfte und der Gesellschaft, einen langfristigen, geplanten und strukturierten Kampf gegen die Isolation und die Menschenrechtsverletzungen zu führen. Dieser Kampf darf nicht isoliert geführt werden, er kann nur bedeutungsvoll im Kampf um eine demokratische Verfassung und Frieden werden“, so die IHD-Vorsitzende Yoleri.

Taş: „Regime besteht auf Krieg“

Hüsnü Taş von TUHAY-DER berichtet, der Widerstand habe sich mittlerweile auf 108 Gefängnisse ausgeweitet: „Wir sehen, dass die Regierung keinen einzigen Schritt unternommen hat, um die Forderungen der Gefangenen zu erfüllen. Die Besuchsanträge des Rechtsbeistands der Imrali-Gefangenen werden nicht akzeptiert. Die Regierung beharrt weiter auf Isolation, was auch bedeutet, weiterhin auf Krieg zu bestehen.“

Isolation darf nicht benannt werden“

Zur Isolation auf Imrali sagt Taş: „Die verschärfte Isolation gegen Herrn Öcalan setzt sich in der gesamten Türkei fort und auch die Menschenrechtsverletzungen an den Gefangenen gehen weiter. Das Beharren auf der Isolation ist nicht nachvollziehbar. Der Jahrestag der Entführung von Herrn Öcalan in die Türkei rückt näher und das Komplott gegen ihn dauert immer noch an. In Kadikoy gab es eine gemeinsame Erklärung von politischen Parteien und Verbänden. Sie wurde angegriffen. Es werden nicht nur unsere demokratischen Rechte blockiert, die Isolation darf nicht einmal beim Namen genannt werden. Die Regierung setzt weiter auf ihre antidemokratische Haltung.“

Die Situation der kranken Gefangenen ist sehr ernst“

Taş berichtet von Razzien in den Gefängnissen von Silivri und Kandıra, bei denen die Wärter keine Masken oder Handschuhe trugen und von Zerstörung und Beschlagnahme von Eigentum der Gefangenen begleitet waren. Insbesondere die Situation der kranken Gefangenen sei dramatisch. Ihnen werde der Zugang zum Krankenhaus in den meisten Fällen verweigert oder sie werden einfach mit Schmerztabletten ins Gefängnis zurückgeschickt. Taş berichtet: „Vor kurzem starb Hadi Yalçın drei Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Edirne. Die kranken Gefangenen bleiben in Haft, bis sie sterben. Im Gefängnis von Metris befanden sich die schwer kranken, behinderten Gefangenen Ergin Aktaş, Abdullah Turan und Serdal Yıldırım in der gleichen Zelle. Serdal wurde freigelassen und durch einen neuen kranken Gefangenen ersetzt. Wir werden so schnell wie möglich versuchen, alles über seine Situation herauszufinden.“

Familien und Öffentlichkeit müssen heftiger protestieren“

Zur Rolle der Öffentlichkeit sagt Taş: „Die Angehörigen sind extrem besorgt. Es ist eine ernsthafte Reaktion von den Familien notwendig. Sonst werden sich die Hungerstreiks in eine ganz andere Richtung weiterentwickeln. Damit es nicht wie bei früheren Hungerstreiks zum Tod von Gefangenen kommt, muss ihnen Gehör und eine Stimme verliehen werden. Politische Parteien und NGOs müssen ihnen eine Stimme verleihen, auch um zu verhindern, dass der Hungerstreik zu einem Todesfasten wird.“

Die Gefangenen sind entschlossen, es handelt sich um eine Warnaktion“

Taş schließt mit den Worten: „In Briefen, die uns die Gefangenen über ihre Familien und Anwälte zugesandt haben, heißt es: ‚Wir werden unsere Aktionen nicht beenden, bevor die Isolation und Folter nicht enden‘. Das ist eine Warnaktion. Wenn die Forderungen nicht akzeptiert werden, kann die Aktion sofort in einen unbefristeten Hungerstreik ohne Ablösung umgewandelt werden.“