Nordsyrien in Fragestunde im Bundestag debattiert

In der Fragestunde im Deutschen Bundestag zu Nordsyrien kam es zu heftigen Wortwechseln zwischen der Verteidigungsministerin und einer Abgeordneten der Grünen-Fraktion.

Eröffnet wurde die Debatte heute Vormittag von der Grünen-Abgeordneten Agnieszka Brugger, die die Bundesregierung nach ihrer offiziellen Position zum Militäreinsatz in Nordsyrien und den Konsequenzen, die diese auf der Ebene internationaler Gremien gezogen hat.

Verteidigungsministerin: Situation in Nordsyrien „unbefriedigend“

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, die Situation in Gesamt-Syrien, insbesondere die Situation in Nordsyrien, sei nach wie vor „unbefriedigend“. Sie sprach von einer „humanitären Katastrophe“. Die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei gelte weiter und man sehe „insbesondere die Bemühungen, dass Flüchtlinge aus der Türkei in die Region Nordsyrien zurückkehren“. Dies stellt eine offene Lüge dar, da nicht Flüchtlinge aus Nordsyrien dort angesiedelt werden, sondern vor allem arabische und turkmenische Geflüchtete aus anderen Regionen Syriens anstelle der aus der Region vertriebenen Bevölkerung. Kramp-Karrenbauer bezeichnete die Realität der ethnischen Säuberungen als „hohe Bedenken der kurdischen Bevölkerung, dass sie aus dieser Region vertrieben werden“. Ihre Konsequenz ist es, die Region „im Blick“ zu behalten. Das sei „Gegenstand der E-3-Gespräche am Rande des NATO-Gipfels in London, mit der Bundeskanzlerin und unter anderem dem türkischen Staatspräsidenten“ gewesen.

Verteidigungsministerin kann keine Position der Bundesregierung vortragen

Agnieszka Brugger ließ sich nicht abwimmeln und fragte weiter nach der offiziellen Position der Bundesregierung. Aber die Verteidigungsministerin zeigte sich außer Stande, eine Antwort auf die Frage zu formulieren.

Als nächstes thematisierte der Grünen-Abgeordnete Jürgen Trittin die Lage in Nordsyrien. Er fragte: „Können Sie uns einmal erklären, wie Sie sicherstellen wollen, dass die Zusage der Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in der Türkei, bei Herrn Erdogan – zumindest war das der Presse zu entnehmen –, den Bau von Unterkünften für Flüchtlinge in Nordsyrien zu finanzieren, so ausgestaltet wird, dass dort nicht in den Bereichen gebaut wird, die die Türkei völkerrechtswidrig besetzt hält, womit man sich selber eines Völkerrechtsverstoßes schuldig machen würde?“

Auch hier sprach die Verteidigungsministerin wieder von einer „kompatiblen und verträglichen“ Ausgestaltung der „Unterstützung für die humanitäre Begleitung und die mögliche Rückkehr der Flüchtlinge“. Dazu hätten Gespräche mit dem türkischen Präsidenten stattgefunden.

Katja Keul: Wenn Einmarsch der Türkei völkerrechtswidrig ist, dann ist auch ihr Verbleib völkerrechtswidrig

Katja Keul von der Grünen-Fraktion hakte nach: „Sie haben erfreulicherweise auch klar gesagt: Der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien ist völkerrechtswidrig. Damit ist auch der Verbleib der Türkei in Nordsyrien völkerrechtswidrig. Diese Einschätzung teile ich. Dort finden ethnische Vertreibungen statt.“

Keul: Nicht die Flüchtlinge, sondern Kräfte der Türkei werden dort angesiedelt

Keul erklärte weiter: „Das heißt, wenn wir der Türkei Mittel zur Verfügung stellen, um in Nordsyrien Flüchtlingsunterkünfte zu bauen, dann wissen wir, wer sich dort ansiedeln wird, nämlich nicht die Flüchtlinge, die von dort vertrieben worden sind, sondern die Kräfte, die die Türkei gezielt in diesem Gebiet ansiedelt. Das heißt, die Bundesrepublik würde sich finanziell an einer ethnischen Vertreibung beteiligen. Das kann doch nicht ernsthaft unser Anliegen sein. Was sagen Sie dazu?“

Verteidigungsministerin: „Sogenannter Bevölkerungsaustausch steht im Raum.“

Die Antwort der Verteidigungsministerin war windelweich: „Auch Ihre Frage macht noch einmal deutlich, dass es gerade angesichts der Situation der Flüchtlinge und des Im-Raum-Stehens des sogenannten Bevölkerungsaustauschs – das ist zumindest die Befürchtung, die es gibt – wichtig ist, dass die internationale Gemeinschaft zum Beispiel mit dem UNHCR dort entsprechend engagiert ist.“ Hier benutzt die Verteidigungsministerin offensichtlich die Vertreibung der Bevölkerung in Nordsyrien als Legitimation für eine mögliche Unterstützung der türkischen Besatzung.