Und Merkel lächelt ihn an...
Erdoğan will Unterstützung für seine ethnische Säuberung in Rojava. Er kündigt ganz offiziell an, mit diesem Geld einen dschihadistischen Vasallenstaat in Nordsyrien gründen zu wollen. Und Merkel lächelt ihn an.
Erdoğan will Unterstützung für seine ethnische Säuberung in Rojava. Er kündigt ganz offiziell an, mit diesem Geld einen dschihadistischen Vasallenstaat in Nordsyrien gründen zu wollen. Und Merkel lächelt ihn an.
Zweifellos handelt es sich bei der Beziehung des Duos Merkel-Erdoğan nicht um eine Schneewittchen-Geschichte. Erdoğan und die Regierungsmitglieder des türkischen Staates sind für ihre „bedeutungsvollen“ Gastgeschenke bekannt, die sie bei Besuchen übergeben. Dieses Mal ist Merkel im Topkapi-Palast ein 24-karätig vergoldeter Spiegel zugefallen.
Das verzückte Lächeln von Merkel beim Anblick des Geschenks in Erdoğans Händen war bemerkenswert. Merkel hat Glück, denn keine europäische Führungsperson ist in den letzten Jahren den Machthabenden eines repressiven Regimes so nahe gekommen wie sie. Es ist noch gar nicht lange her, dass Erdoğan in Bezug auf die Bundeskanzlerin und ihr Land von einer „Nazipraxis“ und „Terroruntersstüzern“ gesprochen hat. So gesehen, läuft es gut für Merkel.
Die Türkei Erdoğans hat nach den Wahlen von 2002 mit seiner Übernahme des Ministerpräsidentenamtes 2003 begonnen. Merkel war in jenen Jahren die Vorsitzende der damaligen Oppositionspartei CDU und als Gegnerin der Türkei bekannt. Als sie 2005 an die Regierungsmacht kam, wurde die Idee einer „privilegierten Partnerschaft“ anstelle der EU-Mitgliedschaft für die Türkei aufgeworfen. Dem Aufbau des Ein-Mann-Regimes Erdoğans wurde in den folgenden Jahren gewissermaßen Zement geliefert.
Die an Ankara vergebenen Kredite und die politische Unterstützung waren nahezu grenzenlos. Diese Phase ging bis 2013. Während des Gezi-Aufstands begann durch die Anschuldigungen Erdoğans an Deutschland und deutsche Stiftungen eine Zeit der Krise und Spannungen. Diese Entwicklung erreichte 2016 und 2017 ihren Höhepunkt. Die absonderlichsten Entwicklungen fanden jedoch 2015 statt.
Die Zeit zwischen den Parlamentswahlen vom 7. Juni und 1. November 2015 war eine sehr kritische Phase in der jüngeren Geschichte der Türkei. Nach der ersten Wahl wurden als Putsch gegen den Wählerwillen vorgezogenen Neuwahlen angesetzt. Es wurden Vorbereitungen für die Zerstörung kurdischer Städte und das Grauen in den sogenannten Todeskellern getroffen. In diesen Tagen wurden Mitte September die Grenzübergänge von der Türkei nach Griechenland und Bulgarien geöffnet und innerhalb weniger Tage stand über eine Million Schutzsuchender vor den Toren Westeuropas.
Für die Merkel-Regierung, die der Grenzöffnung nichts entgegensetzen konnte, bedeutete die „Flüchtlingswelle“ eine Zerreißprobe. Bei der Grenzöffnung durch die Türkei handelte es sich im Vorfeld der Neuwahlen am 1. November um eine Offensive, mit der Europa handlungsunfähig gemacht und angesichts der bevorstehenden Massaker in Kurdistan zum Schweigen gebracht wurde. Ab diesem Zeitpunkt sollte die Drohung, dass weitere Schutzsuchende nach Europa gelassen werden, zu den ständigen Verlautbarungen aus dem Palast des türkischen Sultans gehören.
In großer Bedrängnis reiste Merkel in die Türkei, nahm am 19. Oktober 2015 auf dem Sessel in Erdoğans Palast Platz und hauchte der geschwächten AKP-Regierung damit neues Leben ein. Vor dem Referendum zur Einführung des Präsidialsystems am 16. April 2017 wurde die Beziehung zwischen den beiden erneut auf merkwürdige Weise gestört. In dieser Zeit gab Erdoğan sehr beleidigende Äußerungen zur Regierung in Berlin ab. Die AKP-Medien verbreiteten hässliche Schlagzeilen über Merkel, die Botschafter wurden von Zeit zu Zeit zurückgezogen und die Nerven zwischen Ankara und Berlin waren aufs Äußerste gespannt. Deutschland tat einen unerwarteten Schachzug und setzte einen AKP-Minister mit weiteren Führungskräften vor die Tür.
Nach Meinung einiger Beobachter handelte es sich dabei um ein abgekartetes Spiel: Vor den Kameras wurde die Anspannung gezeigt, hinter verschlossenen Türen lief die Zusammenarbeit bei politischen, wirtschaftlichen und militärischen Fragen wie geschmiert. Erdoğan setzte für sein Referendum auf äußere Konflikte. Und Merkel ging im September des gleichen Jahres mit einem starken Argument in die Wahlen: „Nur wir stellen uns dem Despoten Erdoğan entgegen.“ Genau ein Jahr später, Ende September 2018, wurde Erdoğan in Berlin auf dem roten Teppich empfangen.
Seine Drohung, die Grenzen nach Europa für Flüchtlinge zu öffnen, hatte erneut ihren Zweck erfüllt und Erdoğan bekam, was er wollte. In Wirklichkeit waren die Grenzen ohnehin offen. Trotz des Flüchtlingsabkommens, bei dem Merkel sowohl Regie führte als auch die Produktion übernahm, kamen 2018 48.000 Schutzsuchende aus der die Türkei in die EU. 2019 waren es mindestens 70.000. Die Anzahl der gemäß dem Abkommen aus Griechenland in die Türkei zurückgeführten Flüchtlinge betrug gerade mal 2000.
Abgesehen von diesen Zahlen ist in Brüssel und Berlin nur zu gut bekannt, wie das EU-Geld von der AKP verwendet wird. Trotzdem fordert Erdoğan zusätzlich zu den sechs Milliarden Euro weitere zwei Milliarden von der EU und will außerdem Unterstützung für seine ethnische Säuberung in Rojava/Westkurdistan. Er kündigt ganz offiziell an, mit diesem Geld einen dschihadistischen Vasallenstaat in Nordsyrien gründen zu wollen. Und Merkel lächelt ihn an, manchmal gekünstelt und manchmal geradezu innig – so wie gestern.
Um auf Schneewittchen zurück zu kommen: So wie der Spiegel der bösen Stiefmutter ihr jeden Tag sagt, dass es eine noch viel schönere Frau auf dieser Welt gibt, kann es ja durchaus sein, dass der Spiegel in Merkels Hand ihr eines Tages sagt: „Erdoğan hat auf dieser Welt noch viel bessere Freunde als dich…“