Niedersachsen will einheitlichen Abschiebestopp für Ezid:innen

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) fordert einen weitgehenden Abschiebestopp für Angehörige der ezidischen Minderheit in den Irak.

Kritik an Bamf

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) fordert einen weitgehenden Abschiebestopp für Ezidinnen und Eziden aus Deutschland in den Irak. Sie werde sich für eine bundesweit einheitliche Lösung auf der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz in Potsdam einsetzen, sagte Behrens der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Montag.

Zugleich kritisierte Behrens das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf): „Denn obwohl der Bundestag die Verbrechen des IS an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord anerkannt hat, lehnt das Bamf Asylanträge von jesidischen Personen aus dem Irak nach wie vor regelmäßig als unbegründet ab.“ Sie empfinde es als „höchst unbefriedigend“, dass die Bundesländer daher gezwungen seien, eigene Regelungen zu finden, um Abschiebungen zu verhindern.

Behrens hat bereits vor einigen Tagen für Niedersachsen einen entsprechenden Abschiebestopp für Frauen und Minderjährige verhängt, die der ezidischen Glaubensgemeinschaft angehören. Die Regelung gilt für die gesamte sogenannte Kernfamilie der Betroffenen, damit in der Regel auch für Väter. Ausgenommen davon sind allerdings Straftäter und Personen mit Extremismusbezug sowie diejenigen, die sich hartnäckig weigerten, bei der Klärung ihrer Identität mitzuwirken.

Für dieses Vorgehen will Behrens nun auch bei ihren 15 übrigen Ressortkollegen werben. Zudem werde sie sich dafür starkmachen, dass das Bamf bei der Anerkennung von Asylanträgen „die erheblichen Gefahren für Jesidinnen und Jesiden im Irak angemessen würdigt“. Gerade Frauen und Mädchen ezidischen Glaubens drohten im Irak nach wie vor schreckliche Gewalttaten, Zwangsprostitution und Verschleppung, so die SPD-Politikerin.

74 Völkermorde in der ezidischen Geschichte

Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hatte 2014 weite Teile des Irak und Syriens überrannt und eine Schreckensherrschaft installiert. Über die Staatsgrenzen hinweg rief die Dschihadistenmiliz ein „Kalifat“ aus. Am 3. August 2014 überfiel der IS das im Nordirak gelegene ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal (Sinjar) mit dem Ziel, die bereits seit Jahrhunderten als „Teufelsanbeter“ verfolgte kurdischsprachige Religionsgemeinschaft auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebten die Ezidinnen und Eziden den von ihnen als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte.

Mindestens 10.000 Menschen fielen laut Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) den Massakern in Şengal zum Opfer. Mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, über 7.000 Frauen und Kinder verschleppt. Bis heute befinden sich etwa 2.700 der Entführten in der Gewalt ihrer Peniger, die meisten davon sind Frauen und Kinder. Die Frauen und jungen Mädchen werden bis heute systematisch vergewaltigt und als Sklavinnen gehalten und verkauft. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.

Der Bundestag hat die systematische Verfolgung und Ermordung von Ezidinnen und Eziden im Nordirak durch den IS im Januar 2023 als Völkermord anerkannt. Trotz des Beschlusses des Bundestages, sich für den Schutz ezidischen Lebens einzusetzen, finden Abschiebungen ezidischer Geflüchteter in den Irak weiter statt.


Anmerkung zur Schreibweise: Im deutschen Sprachraum ist Jesidin/Jeside gebräuchlich. Viele Organisationen nutzen als Eigenbezeichnung „êzîdisch“, während ANF in der Regel „ezidisch“ verwendet.