„Nicht die Zerstörung, sondern der Bau von Lagern ist verbrecherisch“

Statt ein Ende des Hotspot-Systems durchzusetzen, wird auf Lesbos nach dem Brand von Moria ein neues Lager errichtet, in dem Schutzsuchende de facto interniert werden sollen.

Die Zeichen in der EU-Flüchtlingspolitik stehen auch nach dem Brand in Moria auf „Weiter so“. Schon wurde das erste Ersatzlager auf der Insel errichtet. In dem behelfsmäßigen Lager sind bisher etwa 500 der fast 13.000 ehemaligen Insass*innen von Moria untergebracht. Einmal im Lager, verweigern die Behörden den Schutzsuchenden, den Ort wieder zu verlassen.

Daher weigern sich die obdachlosen Menschen, in das umzäunte Lager zu ziehen, und fordern stattdessen einen Transport auf das Festland und die Verteilung auf die EU-Staaten. Mit allen Mitteln versucht der griechische Staat, Zwang auf die Menschen in Kara Tepe auszuüben. So wird die Nahrungsmittelversorgung verweigert und Tränengas gegen sie eingesetzt. Im Moment sind etwa 11.000 Personen obdachlos, unter ihnen etwa 4.000 Kinder. Eine der Schutzsuchenden erklärt gegenüber AFP: „In Moria konnten wir bis zum Lockdown im März wenigstens raus, das neue Lager aber wird zu einem Gefängnis.“ Die junge Mutter schläft mit ihrem Baby an der Straße zum Hafen der Inselhauptstadt Mytilini, denn auch der Weg dorthin ist von der Polizei versperrt.

Ulla Jelpke: „Nicht die Zerstörung, sondern Bau von Lagern ist verbrecherisch“

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, erklärt zu der Situation: „Das Leid der Schutzsuchenden auf Lesbos ist seit Jahren Kalkül. Knapp eine Woche nach dem Brand in Moria werden die weiterhin überwiegend obdachlosen Schutzsuchenden durch massive Polizeipräsenz, Tränengas und das Vorenthalten von Wasser und Nahrung massiv unter Druck gesetzt, damit sie in das neu entstehende Zeltlager ziehen. Das ist eine Zermürbungsstrategie, um die Erschöpften dann in dem Lager besser kontrollieren zu können. Es ist nachvollziehbar, dass einige Schutzsuchende misstrauisch sind und sich weigern, erneut in ein Lager zu gehen. Sie wollen nicht wieder eingesperrt werden. Es braucht eine grundsätzliche Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik, ein zweites Moria darf es nicht geben.“

Jelpke fordert die Aufnahme der Schutzsuchenden und fährt fort: „Dass Bundesinnenminister Horst Seehofer die Aufnahme von 100 bis 150 unbegleiteten Kindern ein ‚Beispiel praktizierter Nächstenliebe‘ nennt, ist einfach nur lächerlich. Unter Verweis auf eine angeblich notwendige europäische Lösung werden die Menschenrechte von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen seit Jahren mit Füßen getreten. Die Bundesregierung muss ihre Blockade endlich aufgeben und aufnahmebereiten Bundesländern und Kommunen erlauben, Schutzsuchende von den griechischen Inseln aufzunehmen. Das Feuer von Moria als eine Taktik der Lagerbewohner zu bezeichnen, die nicht durch das Gewähren von Menschenrechten belohnt werden dürfe, ist an Menschenverachtung kaum zu überbieten. Selbst wenn es einige der ehemaligen Bewohner waren, die das Feuer gelegt haben – das Aufbegehren gegen menschenverachtende Umstände ist absolut verständlich und legitim. Und das Gerede von der ausschließlichen Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Schutzsuchender hängt mir zum Halse raus. Haben Minderjährige mit ihren Eltern oder Erwachsene, Männer wie Frauen, etwa kein Recht auf Menschenwürde?“