Newsletter des Studierendenverbands YXK

Der Studierendenverband YXK behandelt in seinem Newsletter die Aktivitäten der kurdischen Jugend in Europa und die Rolle des türkisch-islamischen Verbands DITIB, dem Hessen gerade die Zusammenarbeit aufgekündigt hat.

In dem letzten Newsletter des Verbands der Studierenden aus Kurdistan (YXK) geht es um zwei verschiedene Themen: die Jugendaktionen in Europa und die Beendigung der Zusammenarbeit mit DITIB in Hessen. Beim ersten Thema geht der Studierendenverband ausführlich auf die Bedeutung der aktuellen Aktionen der kurdischen Jugend ein. Beim zweiten Thema behandelt der YXK die Rolle des türkisch-islamischen Verbands DITIB als Deckmantel für die Machenschaften des türkischen Staates in Deutschland.

Jugendaktionen in Europa, ihre Gründe und Bedeutung

In ganz Europa führen organisierte kurdische Jugendliche Aktionen des zivilen Ungehorsams und dezentrale Aktionen aus. Sie hängen Transparente auf, machen Flyeraktionen oder blockieren auch mal eine Straße oder Autobahn. Sie beteiligen sich an Kundgebungen der kurdischen Gemeinschaft oder an verschiedenen aktuellen Kämpfen wie dem der Seebrücke. Wir zählen Bielefeld, Dortmund, Freiburg, Stuttgart, Kiel, Nürnberg, Frankfurt, Offenbach, Gießen, Darmstadt, Hannover, Augsburg, Heilbronn, Paris, Marseille, Straßburg, Den Haag, Bern, Genf und noch viele weiteren Städte. Davon nicht zu trennen sind die Aktivitäten der Jugend in Kurdistan, die unter schwierigsten Bedingungen gegen den türkischen Faschismus Widerstand leisten.

Hauptauslöser für das steigende Aktionsniveau der kurdischen Jugend ist das Ausarten des AKP/MHP-Faschismus. Der türkische Staat überlässt die politischen Gefangenen in der Türkei dem Tod, er schafft Bedingungen, die den Feminizid begünstigen, er ermordet mit seinen Drohnen drei Einwohnerinnen des Flüchtlingslagers Mexmûr, er plant die Ausweitung seiner Besatzung in Rojava, er setzt sich mit Hilfe der Kollaboration der PDK in Südkurdistan fest, er greift die Guerilla im Kandilgebirge an, er spielt mit dem Leben der geflüchteten Menschen, er nutzt die Corona-Pandemie als Unterdrückungswerkzeug gegen die demokratischen Bewegungen und kurdische Bevölkerung. Kurz: Es hat sich herausgestellt, dass der türkische Staat sogar trotz Corona-Pandemie keinen Waffenstillstand eingeht und ungehindert seine Besatzungs- und Kriegspläne weiterführen möchte.

Seinen wahnwitzigen Wunsch, die kurdische Bewegung zu vernichten und den Willen der kurdischen Bevölkerung zu brechen, macht ihn für die Herausforderungen der Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie blind. Ferner sieht er für sich in einem totalitären Vernichtungskrieg eine Lösung. Dass das ein Trugschluss ist und nur in einer großen Katastrophe enden kann, sieht der türkische Staat nicht mehr. Es ist ein Trugschluss, weil die Kurd*innen seit mehr als Tausenden von Jahren unterdrückt wurden und bis heute trotzdem überlebten. Es ist ein Trugschluss, weil wir mit der von Rêber APO [Abdullah Öcalan] entwickelten Philosophie in den letzten 40 Jahren nicht nur überlebt haben, sondern zu einem kämpfenden, widerständigen und seine Rechte einfordernden Volk geworden sind. Hinter dem unumstößlichen Glauben der Jugend an Rêber APO und die Bewegung steckt diese Wahrheit. Dieser Glaube äußert sich an erster Stelle in der Lebensweise und den Aktionen der Jugend. Er verfestigt sich in der Organisierung der Jugend. Er kann ungeahnte Höhen in der organisierten Aktion erreichen.

Als im Oktober 2019 die Türkei den Angriffskrieg auf Rojava ausweitete, der schon Monate vorher angekündigt wurde: Ging weltweit eine große, aber kurze Welle der Empörung und des Protests um. Ausnahmslos alle kurdischen Jugendlichen waren dabei anwesend. Tagtäglich waren sie bei den Demonstrationen. Trotz Verboten schrie die Jugend aus ihrer Seele: „Bijî Serok APO!“, „PKK! PKK! PKK!“ oder „Bijî Berxwedana Rojava!“ Trotz jahrzehntelangem neoliberalem Alltag und strukturellem Assimilierungsdruck hat ein emotional-ethischer Reflex die Seele vieler Jugendlicher angeregt und bewiesen, dass in ihrem Innersten die Jugend noch frei ist. Dieser Reflex ist der tiefsitzende Glaube, von dem oben die Rede war. Er ist die Erzählung von unseren Brüdern und Schwester in den Bergen. Er ist die vielfältige uns bewegende Musik aus der Heimat. Es ist die Kommunalität in unseren Familien, die wir in jungen Jahren erlernten, bevor wir sie in den staatlichen Schulen fast vergessen. Es ist die kurdische Sprache, die wir oft lückenhaft erlernen, die uns aber ständig daran erinnert: Diese Sprache, deine Sprache kannst du lernen, verstehen und sprechen, weil ein großer Kampf geführt wird.

Nach der Phase der Demonstrationen kam die Phase der Aktionen des zivilen Ungehorsams, die mit dem Abnehmen der medialen Aufmerksamkeit ebenfalls abnahm und spätestens nach dem vermeintlichen Waffenstillstand der Großmächte, der zur Legitimierung der Besatzung diente, nochmal weniger wurde. Eine Kontinuität wurde nicht ausreichend geschaffen. So wurde der türkische Faschismus aufgehalten, was eine große Leistung ist, aber nicht zerschlagen, was das Ziel sein muss. Diese Haltung ähnelt ein wenig der Appeasement-Politik der Westmächte gegenüber dem Faschismus in Deutschland und anderswo vor Kriegsbeginn. Wir reagieren stark, wenn die Lage heiß und bemerkbar gefährlich wird. Wir reagieren wenig, wenn es ruhiger wird und die Töne sanfter werden. Währenddessen verschiebt sich die Grenze aber zunehmend zugunsten des Faschismus. In dieser Aussage steckt eine tiefe Selbstkritik, die uns alle mehr oder weniger betrifft: Inwiefern haben wir als kurdische Jugendliche in Europa die Denk- und Handlungsweise des Westens übernommen? Warum bestimmen wir unseren Kurs nicht selbst, sondern lassen uns von der Agenda und Sprache des türkischen Staates bestimmen?

Revolutionäre Organisierung bedeutet, den emotional-ethischen Reflex in uns gemeinschaftlich zu einer emotionalen Intelligenz zu entwickeln, d.h. fähig sein, die Situation intuitiv zu verstehen und auf sie antworten zu können. Das bedeutet, dazu fähig sein, den Moment der Revolte, des Aufschreis, des „man-muss-da-mal-was-machen“ in eine Zeit der Revolte, in eine Welle des Aufschreis, in ein „WIR-MACHEN-DAS-HIER-UND-JETZT!“ zu erhöhen. Es ist ein tiefgreifender Wechsel im Denken und Fühlen von „man“ zu „WIR“. Verbinden wir diese emotionale Intelligenz mit der rationalen, strategischen Intelligenz, sind wir dazu fähig, die mediale Mauer zu durchbrechen oder Hinhaltetaktiken des Faschismus ins Leere laufen zu lassen. Alles andere ist dann eine Kleinigkeit, wenn wir nur unsere innersten Gefühle nicht verdrängen. Die aktuelle Aktivität der organisierten Jugendbewegungen in Europa gegen den Angriffskrieg der Türkei und den Verrat der PDK an der kurdischen Bevölkerung zeigen, dass wir bei ernsthaftem Willen immer einen Weg finden.

Die Bedingungen der Corona-Pandemie und der zunehmend autoritären Staatspolitik mögen ein Hindernis sein, mehr sind sie aber auch nicht. Es mögen zwar keine Massenproteste stattfinden können, dennoch sind dezentrale, aber koordinierte Aktionen möglich und notwendig. Es stellt sich stets die Frage: Was trifft den Feind am härtesten? Im Moment trifft den Feind, den AKP/MHP-Faschismus und seine Verbündeten alles, was den Frieden fördert. Besonders der Kampf gegen die Isolation von Rêber APO und der kurdische Gesellschaft ist zielführend. In Zeiten der Pandemie bedingten sozialen Isolation und der Gefahr eines innerkurdischen Konfliktes müssen wir Raum für den Dialog zwischen Kurd*innen schaffen. Für Frieden einstehen, bedeutet aber nicht Beschwichtigen, Besänftigen, Beruhigen, Nachgeben. Als Jugend eines Volkes, das ausgebeutet, unterdrückt und kolonisiert wird, können wir es uns nicht erlauben, solch eine Haltung einzunehmen, denn das bedeutet für uns die Vernichtung. Der Kurs der PDK bedeutet für die Kurd*innen die vollständige Assimilierung. Frieden bedeutet: Kompromisslos und pausenlos die Imrali-Haltung, die sich nach der Newroz-Deklaration von 2013 richtet, auch in uns und auch hier in Europa umzusetzen. Die Losung für die aktuelle Phase lautet: Jede Aktion der Jugend ist besser als gar keine Aktion. Jede gute Aktion aber fördert auch die Organisierung der Jugend. Jede gute Organisierung erhöht die Kreativität und Qualität der Aktionen.

Hessen beendet Zusammenarbeit mit DITIB

Die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (kurz DITIB) ist die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland. In der Öffentlichkeit hier ist sie allerdings für ihre Arbeit und Dienste für den türkischen Staat bekannt. So räumt die DITIB Satzung der türkischen Regierung enorme Freiheiten über das Geschehen in Deutschland ein. In Paragraf 4 der Satzung von DITIB wird z.B. Vertretern des türkischen Religionsamtes in Ankara das Recht eingeräumt, als Mitglied in den Verein aufgenommen zu werden. Damit kann die türkische Regierung durch das türkische Religionsamt DITIB befehligen und sich in die inneren Angelegenheiten von Deutschland einmischen.

Aus dieser Organisation heraus wird allem voran Propaganda für das türkische Regime sowie die Überwachung von politisch Andersdenkenden betrieben. Der deutsche Staat kann so politische Repression und faschistische Propaganda outsourcen und sich so wegen vermeintlicher interreligiöser und interkultureller Gründe im Hintergrund halten. So wurde z.B. im September öffentlich, dass in den DITIB Moscheen für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des türkischen Regimes und dschihadistischer Söldner auf Rojava gebetet wurde. Im Jahr 2016 gelangten interne Dokumente der türkischen Konsulate an die Öffentlichkeit, diese zeigten, dass in den Moscheen Infos über Gülen-Anhänger als auch Oppositionelle gesammelt wurden. Unter diesen Namen war zum Beispiel auch die ARD-Moderatorin Sabine Christiansen.

Aufgrund dieser offensichtlichen Abhängigkeit vom türkischen Staat hat das Bundesland Hessen nun entschieden, die Zusammenarbeit mit DITIB für schulischen Islamunterricht zu beenden. So erklärte Bildungsminister Lorz in seiner Begründung für den Entschluss: „Diese Entscheidung habe ich getroffen, weil – ausweislich der aktualisierten Gutachten – die Zweifel an der Erfüllung der notwendigen Kriterien durch DITIB Hessen weiterhin nicht im notwendigen Maße ausgeräumt werden konnten.“

Der Religionsunterricht soll nun von deutscher staatlicher Seite weitergeführt werden. Diese Entscheidung ist ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch handelt es sich hierbei nur um ein Kratzen an der Oberfläche. So ist DITIB hier eine gemeinnützige Organisation und erhält somit finanzielle Unterstützung durch den deutschen Staat. Während die deutschen Behörden türkische Überwachungsmaßnahmen an den eigenen Bürgern nicht nur billigen, sondern auch noch finanziell unterstützen, wird die Gemeinnützigkeit einer antifaschistischen Organisation nach der anderen entzogen.

Im Gegensatz zu Hessen hat Rheinland-Pfalz jetzt entschieden, eine ähnliche Zusammenarbeit aufzunehmen, wie sie Hessen führte. All dies zeigt uns einmal mehr, dass wir keinerlei Schutz oder Hilfe vom deutschen Staat erwarten können. Wir müssen vor allem erkennen, wie an erster Stelle der türkische Staat und an zweiter Stelle der deutsche Staat den Islam für sich missbrauchen. Eine Institution zu fördern, die für den Krieg beten lässt, widerspricht jeder Menschlichkeit und interkulturellen Solidarität. Es ist weiterhin eine wichtige Aufgabe kritischer Menschen und Organisationen, die Machenschaften des türkischen Staates unter dem Deckmantel des DITIB bzw. des Islam aufzudecken und die Öffentlichkeit aufzuklären.