Neue Anträge zur Aufhebung der Immunität von HDP-Abgeordneten

Gegen 25 Mitglieder der HDP-Fraktion im türkischen Parlament sind Ermittlungsberichte zur Aufhebung der Immunität eingereicht worden. Die Anträge stehen im Zusammenhang mit sogenannten Terrorvorwürfen.

Dem Präsidium der türkischen Nationalversammlung sind am Montag neue Anträge zur Aufhebung der Immunität von Abgeordneten der Opposition eingereicht worden. Allein 36 der insgesamt vierzig Ermittlungsberichte mit der Forderung, den Weg zur Strafverfolgung der Abgeordneten freizumachen, richten sich gegen Mitglieder der HDP-Fraktion. Betroffen sind 25 von ihnen, darunter die Ko-Vorsitzende Pervin Buldan, die Vizefraktionsvorsitzenden Meral Danış Beştaş und Saruhan Oluç, Hüda Kaya und Sezai Temelli.

Weitere Ermittlungsberichte, die aus der Feder der Oberstaatsanwaltschaft von Ankara stammen und sowohl der Verfassungskommission als auch dem Parlamentsvorsitz vorgelegt worden sind, betreffen Saliha Aydeniz (DBP), Barış Atay Mengüllüoğlu (TIP) und Sezgin Tanrıkulu (CHP). In allen Fällen stehen die Anträge im Zusammenhang mit Ermittlungen im Zusammenhang mit sogenannten Terrorvorwürfen, die aus regimekritischen Äußerungen im Parlament, Aussagen in Interviews und Reden bei Veranstaltungen konstruiert wurden.

Die Aufhebung der Immunität mit dem Ziel der anschließenden Inhaftierung von oppositionellen Abgeordneten stellt ein vom türkischen Staat in den letzten Jahren inflationär benutztes Mittel zur Ausschaltung jeglichem politischen Dissens dar. Fast im Wochentakt werden entsprechende Ermittlungsberichte von der Oberstaatsanwaltschaft Ankara vorgelegt.

Immunitätsentzug zur „Terrorismusprävention”

Im Mai 2016 hatte das türkische Parlament einer von der islamistischen Erdoğan-Partei AKP initiierten Verfassungsänderung zur „Terrorismusprävention” zugestimmt und damit den Weg zur vorübergehenden Strafverfolgung von Abgeordneten freigemacht. Betroffen von dem Immunitätsentzug waren damals insgesamt 154 Parlamentsmitglieder, mehr als ein Drittel davon Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Unmittelbar nach der Verfassungsänderung wurden zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Opposition eingeleitet. Die losgetretene Repressionswelle fand mit der Verhaftung von zehn HDP-Abgeordneten, darunter den damaligen Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, am 4. November 2016 ihren vorläufigen Höhepunkt.

Erfolgreiche Klage vor EGMR

Bei einer Abgeordneten, der die Immunität 2016 entzogen worden war, handelt es sich um die feministische Rechtsanwältin und HDP-Politikerin Filiz Kerestecioğlu. Im Ermittlungsbericht gegen die heute 60-Jährige ging es um eine Frauenkundgebung in Istanbul, die unerlaubter Weise stattgefunden hätte, und eine Ansprache. Dadurch, dass Kerestecioğlu als Rednerin auftrat, habe sie verdeutlicht, den illegalen Protest angeführt zu haben. Die Politikerin war in der Folge wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz angeklagt, im Januar 2018 jedoch freigesprochen worden. Im Mai 2021 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Aufhebung der Immunität von Kerestecioğlu einen Verstoß gegen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung darstellte. Die Maßnahme habe den konkreten Zweck gehabt, Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken (Beschwerdenr.: 68136/16). Ankara musste der Politikerin eine Entschädigung von 9.000 Euro zahlen.