Heute wurde vor dem Oberlandesgericht (OLG) München der kurdische Aktivist Mustafa T. zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Wie der Rechtshilfefonds Azadî e.V. mitteilt, wurde der Haftbefehl aufgrund der bereits verbüßten Untersuchungshaft aufgehoben und Mustafa T. konnte „den Gerichtssaal nach dem Urteil als freier Mann verlassen“.
Vorgeworfen wurde ihm, als Mitglied einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ (§§ 129, 129a, 129b StGB) von Juli bis Dezember 2020 das Gebiet München/Südbayern verantwortlich geleitet zu haben. Ein weiterer Anklagepunkt, die PKK-Gebietsleitung in Ulm zwischen Juni 2019 und Mai 2020, wurde von der Staatsanwaltschaft zur Abkürzung des Verfahrens aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Angeklagten eingestellt. Aus eben diesen Gründen verzichtet auch die Verteidigung auf weitere Rechtsmittel, so dass das Urteil rechtskräftig ist.
Auf Betreiben der Verteidigung ging das Gericht sowohl in der Beweisaufnahme als auch in seiner mündlichen Urteilsbegründung ausführlich auf die aktuelle Politik der Türkei und die Geschichte des türkisch/kurdischen Konflikts ein. Mit klaren Worten wie „Folter“ und „Massaker“ wurden in der Urteilsbegründung sowohl die aktuellen als auch historischen Missstände eingeräumt. Die persönliche und familiäre Betroffenheit des Angeklagten durch erlittenes Unrecht wurde vom Gericht zwar als strafmildernd anerkannt, diese rechtfertige jedoch nicht die ihm vorgeworfenen Vergehen.
„Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung“
In der Anklageschrift wurden Mustafa T. seine Teilnahme an Protestveranstaltungen, u.a. gegen völkerrechtswidrige Angriffe der türkischen Armee auf von Kurd:innen bewohnte Regionen im Nordosten Syriens oder des Nordiraks, als „terroristische Aktivitäten“ ausgelegt. Zum Vorwurf erhoben wurde zudem, dass er eine Verhandlung gegen kurdische Angeklagte vor dem OLG Stuttgart-Stammheim besucht oder sich an einer Demonstration gegen die Verurteilung von politisch Aktiven der linken türkischen TKP/ML in München beteiligt habe. Zudem wurden ihm soziale Tätigkeiten – etwa die Teilnahme an einer Trauerfeier für einen angeblichen PKK-Aktivisten - sowie die Unterstützung von humanitären Spendenkampagnen des kurdischen Roten Halbmonds Heyva Sor zur Last gelegt.
Die Anklage basierte laut Azadî e.V. hauptsächlich auf „Erkenntnissen“ aus der Telekommunikationsüberwachung durch die Landeskriminalämter von Bayern und Baden-Württemberg. Weil sich Mustafa T. dem Strafverfahren – wie von der Generalstaatsanwaltschaft München behauptet wurde – hätte entziehen können und damit Fluchtgefahr bestünde, befand er sich seit seiner Verhaftung im Dezember 2020 in Untersuchungshaft in München.
Haftstrafe für politische und soziale Aktivitäten
Der Rechtshilfefonds Azadî e.V. kritisiert auch an diesem Verfahren und dem heute ergangenen Urteil, dass dem Angeklagten keine individuellen Straftaten zur Last gelegt wurden, sondern allgemeine politische und soziale Aktivitäten sowie Kontakte für eine Haftstrafe von dem Gericht als ausreichend angesehen werden: „Während die deutsche Bundesregierung seit über 30 Jahren nahezu sämtliche politischen Aktivitäten der kurdischen Opposition in Deutschland kriminalisiert, schweigt sie konsequent zu den diktatorischen Verhältnissen in der Türkei und ihren völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen bis hin zum Einsatz international geächteter Chemiewaffen, wie aktuell im Nordirak.“
Die Meldung wurde um 16.27 Uhr aktualisiert.