Mildes Urteil gegen IS-Rückkehrerin Omaima Abdi

Omaima Abdi ist in Hamburg wegen IS-Mitgliedschaft und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Sie hat nachweislich ein 13-jähriges ezidisches Mädchen als Sklavin gehalten.

Im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Omaima Abdi vor dem Oberlandesgericht Hamburg ist heute das Urteil gesprochen worden. Abdi wurde zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Schuldig befunden wurde sie wegen Mitgliedschaft im IS, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, Verletzung ihrer Fürsorgepflicht und Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Strafmildernd wertete das Gericht ihr Teilgeständnis, ihre bisherige Zeit in der Untersuchungshaft, die Trennung von ihren Kindern sowie ihren eingeschränkten Gesundheitszustand.

Die Hamburgerin hielt sich zwischen Anfang 2015 und Ende 2016 mit ihren drei Kindern in den vom IS besetzten Gebieten in Nordsyrien auf und konnte über die Türkei nach Deutschland zurückkehren. In dieser Zeit hat Omaima Abdi nachweislich ein 13-jähriges ezidisches Mädchen als Sklavin gehalten. Noch bis heute hat Abdi Kontakt zu Salafisten und erhält Unterstützung der aktiven islamistischen Netzwerke in Deutschland. Festgenommen wurde sie erst Jahre nach ihrer Ankunft in Hamburg dank der Recherchen der Journalistin Jenan Moussa und des dadurch entstandenen öffentlichen Drucks, obwohl sie seit 2012 unter Überwachung stand und sich fast zwei Jahre in den vom IS besetzten Gebieten in Syrien aufhielt.

Özdemir: Wichtiges politisches Signal

Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende und justizpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, hält es für ein wichtiges politisches Signal an die Betroffenen, dass Abdi auch wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde: „Dennoch wäre es notwendig gewesen, deren Perspektive in der Prozessführung eine größere Rolle einzuräumen.“ Weiter erklärte die Linkspolitikerin zu dem Urteil: „Omaima A. versuchte sich nach außen als sorgende Mutter und Hausfrau darzustellen. Mit diesem Bild versuchte sie auch die Rollen von Frauen im Kalifat zu verharmlosen. Die Verletzung der Fürsorgepflicht wurde zwar im Urteil berücksichtigt, allerdings nicht im ausreichendem Maße. Omaima A. hat ihre Kinder bewusst mit in das Kalifat des Islamischen Staates genommen.“

Justiz verharmlost Rolle von IS-Frauen“

Die feministische Kampagne „Gemeinsam kämpfen“, der Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V., Women for Justice e.V. und die Gesellschaft ezidischer Akademiker*innen e.V. haben den Prozess beobachtet und in einer gemeinsamen Erklärung Kritik geäußert:

„Im Laufe der Prozessbeobachtung wurde deutlich, dass die deutsche Justiz die Rolle von Frauen im IS stark verharmlosend gegenüber steht. Wir kritisieren scharf die verharmlosende Haltung gegenüber der gerade von Frauen begangenen Verbrechen. Auch entpuppten sich die bislang geführten Prozesse gegen IS-Rückkehrer*innen in ihrer Form und Aufklärungsleistung als ein Hohn gegenüber den Überlebenden des vom IS verübten Genozids und Feminizids an den Ezid*innen in Shengal (Irak). Mehr als 400.000 Ezid*innen haben alles verloren. Es gibt unzählige Berichte von den Überlebenden, die über ihre Versklavungen und Misshandlungen berichten. Um Gerechtigkeit herzustellen bedarf es einer ganzheitlichen Aufklärung und Aufarbeitung dieser Verbrechen. Eine solche Haltung der Gerichte und den weitgehenden Ausschluss der Betroffenen und Überlebenden aus der Aufarbeitung des Genozids und Feminizids an den Ezid*innen in Shengal ist nicht hinnehmbar!

Sonderrolle von Frauen im Islamischen Staat muss neu bewertet werden

Die laufenden Prozesse machen deutlich, wie stark Frauen mitunter in das System des Islamischen Staates eingebunden waren. Rückkehrer*innen zeichnen dennoch nach wie vor in Vernehmungen das Bild unschuldiger Ehefrauen, so auch Omaima A. Vor deutschen Gerichten wird entsprechend der traditionellen Geschlechterrollen die Argumentation übernommen, dass Frauen nur Opfer, jedoch keine Täter*innen sein können. Folglich reicht die Übernahme von häuslichen und familienbezogenen Arbeiten und das Gebären von Kindern nicht aus, um juristisch als Terrorunterstützung zu gelten. Jedoch waren es gerade solche Arbeiten, die das System des IS stützten. In manchen Brigaden, wie etwa der nach einer arabischen Dichterin benannten Al-Khansaa-Brigade, erhielten Frauen sogar Kampfausbildung, um für die innere Sicherheit in den IS-Gebieten und die Durchsetzung der Kleider- und Verhaltensordnung zu sorgen. Des weiteren erfüllten Frauen zentrale Funktionen wie Netzwerkarbeit, übernahmen vielfältige Aufgaben in der geschlechtergetrennten Verwaltung, sorgten insbesondere im internationalen Zusammenhang für die Verbreitung der IS-Ideologie, das Spendensammeln sowie das Anwerben weiterer Anhänger*innen. Das lässt sich gut an der Tätigkeit von Omaima A. darlegen. Sie bespielte vor ihrer Ausreise eine Facebookseite und Blog, in dem sich über das Leben im Kalifat des IS, die Ausreise und Auswanderungspläne unterhalten wurde.

Fehlendes Gesamtkonzept

Die Aufklärung aller verschleppten Ezid*innen durch die Überfälle des Islamischen Staates in Zusammenarbeit mit Akteur*innen vor Ort muss zum zentralen Ziel der IS-Prozesse werden.

Die national geführten IS-Prozesse stehen im globalen Zusammenhang. Obwohl die deutschen IS-Anhänger* innen ihre Taten in einer Kriegssituation als Teil einer Kriegspartei im Ausland begingen, werden die laufenden IS-Prozesse als Einzelfälle betrachtet und die Ermittlungen nicht in ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung des Feminizids und Genozids an den Ezid*innen eingebunden.

Eine stichhaltige Beweislage für solche Prozesse, welche vom Bundesgerichtshof bemängelt wird, könnte durch die enge Zusammenarbeit mit Überlebenden- und Betroffenen-Intiativen verbessert werden. Neben der verbesserten Beweisaufnahme besteht die Möglichkeit, dass durch die Aufklärung der teilweise immer noch aktiven Täter*innen-Netzwerke die internationale Gerichtsbarkeit der begangenen Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erleichtert, Gerechtigkeit für Überlebende hergestellt sowie dem wiederholten Erstarken des IS vorgebeugt werden kann.

Die Anklagen gegenüber der IS-Rückkehrer*innen müssen den Aspekt der Gerichtsbarkeit unter Berücksichtigung des Völkerrechts und der Menschenrechtskonvention beinhalten – als hybride Gerichtshöfe.

Die in den Prozessen gegen die Verbrechen des IS häufig herangezogenen Anti-Terror-Gesetze verfehlen den Gegenstand der Strafverfolgung. Die im Fokus stehende Ideologie wird pauschal bestraft, während die konkreten Taten unaufgeklärt bleiben. So können aufgrund der rechtlichen Grundlage der Anklage manche Straftaten nicht verfolgt werden. Darüber hinaus greifen einige Herkunftsländer aufgrund fehlender Ressourcen und mangelnder Rechtsstaatlichkeit auf menschenrechtswidrige Praxen wie Folter und Todesurteile zurück. Expert*innen wie Andrew Solis haben hergeleitet, dass ein sogenannter hybrider Gerichtshof eine pragmatische Lösung wäre, um internationale und nationale Komponenten von Prozessführung miteinander zu verbinden.

Durch Zusammenarbeit lokaler und internationaler Akteure kann Finanzierbarkeit und Einhaltung der Menschenrechte gewährleistet werden, während die Beweisaufnahme und Aufklärung gegebenenfalls gegen den Willen staatlicher Lokalakteure durchgesetzt werden kann. Beispielsweise könnte die Rolle des türkischen Staates aufgeklärt werden, welcher eine bedeutende Funktion in der logistischen Unterstützung des IS erfüllte, wie es sich nun in mehreren IS-Prozessen bestätigt hat.

Rund 1050 Männer und Frauen versuchten seit 2012 aus Deutschland in syrische oder irakische Kriegsgebiete auszureisen, um sich dem IS anzuschließen. Aktuell befinden sich 80 deutsche Staatsangehörige in Gefangenschaft oder Lagern in Nordsyrien, gegen 71 Personen sollen Ermittlungsverfahren geführt werden.“