„Unsere Solidarität geht weiter“
Auf Beschluss von Innenminister Ali Yerlikaya und Finanzminister Mehmet Şimşek wurden in der Türkei die Vermögenswerte von 39 Einzelpersonen und 19 Organisationen eingefroren. Darunter ist der Verein Göçiz-Der, der sich mit der Situation von Migrant:innen und Binnenflüchtlingen auseinandersetzt. Der Beschluss trat mit der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.
Göçiz-Der lud am Montag zu einer Pressekonferenz zu dem Gerichtsbeschluss ins Vereinsgebäude in Istanbul ein. An der Veranstaltung nahmen Mitglieder der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), des Anatolischen Vereins für Hilfe und Solidarität mit Familien, die ihre Angehörigen verloren haben (ANYAKAY-DER), der Kurdischen Forschungsgesellschaft, des Solidaritätsnetzwerks für Migrant:innen und Flüchtlinge und des Solidaritätsnetzwerks für Menschenrechtsaktivist:innen teil.
„Das ist ein Versuch, Repression auszuüben“
Mine Buse vom Migrant:innen- und Flüchtlingssolidaritätsnetzwerk erklärte, dass das Regime mit der Entscheidung, das Vermögen von Göçiz-Der einzufrieren, versuche, immer größeren Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen aufzubauen und sie zu bedrohen. Sie erklärte: „Aber wir wissen, dass diese Repression keinen Erfolg haben wird. Heute, in dieser Ordnung, in der Krieg und Ausbeutung weitergehen, wird Göçiz-Der seine Arbeit fortsetzen. Als Netzwerk der Migranten- und Flüchtlingssolidarität möchten wir betonen, dass Göçiz-Der seine Arbeit nicht allein fortsetzen wird. Angesichts dieser Entscheidung rufen wir alle, die sich für Arbeit und Demokratie einsetzen, dazu auf, sich mit Göçiz-Der gegen diesen Beschluss zu solidarisieren.“
„Diese Repression wird keinen Erfolg haben“
Kamile Kandal, Ko-Vorsitzende von Göçiz-Der, betonte, dass die Repressalien kein Novum seien und wies darauf hin, dass Mitglieder des Vereins in der Vergangenheit bereits aus ähnlichen Gründen vor Gericht gestellt worden waren. Sie hob hervor, dass diese aber immer vollständig freigesprochen worden seien und unterstrich, dass das Einfrieren von Vermögenswerten gegen ihre Vereinigung einen Angriff auf die Persönlichkeit und die verfassungsmäßigen Rechte der Vereinigung und ihrer Mitglieder darstelle.
Begründung der Minister rechtswidrig
In der Begründung ihrer Entscheidung wiesen die Minister auf ein Verfahren vor dem 4. Strafgerichtshof von Ankara hin, in dem der Verein mit „der Terrororganisation“ in Verbindung gebracht wurde. Kandal erklärte, dass das Gericht allerdings offensichtlich anders entschieden habe und warf den Ministern vor, in die Judikative einzugreifen: „Dasselbe Gericht hat in demselben Verfahren die Vereinigung von der Mitgliedschaft in dieser Organisation freigesprochen, mit dem jetzt versucht wird, eine Verbindung zum Terrorismus herzustellen. Der vom Finanzministerium veröffentlichte Beschluss, in der erneut ein Zusammenhang mit dem Terrorismus behauptet wird, lässt uns zu der Überzeugung kommen, dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bewusst außer Kraft gesetzt wurde und politische Motive im Spiel waren. Was wir dazu sagen können, ist, dass juristische Entscheidungen getroffen werden sollten und nicht politische Entscheidungen.“
Durch dieses Vorgehen werde versucht, den Verein zu isolieren: „Man will das Band zwischen den Menschen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen durchtrennen. Dass die Regierung eine solche Entscheidung trifft, obwohl ein Urteil vorliegt, ist eine Missachtung des Rechts und der Justiz. Wir möchten jedoch betonen, dass diese Repression zu keinem Ergebnis führen wird.“
„Unsere Solidarität mit Schutzsuchenden geht weiter“
Kamile Kandal schloss mit der Ankündigung, dass der Verein seine Arbeit trotz aller Repression und aller Blockadeversuche fortsetzen werde und sagte „In einer Region, in einer Welt, in der Krieg und Ausbeutung weitergehen, in der Millionen von Menschen gewaltsam vertrieben und zu Flüchtlingen gemacht werden, werden wir als Verein unsere Arbeit, unsere Forschung, unsere Verteidigung der Rechte von Migrant:innen und Flüchtlingen und unsere Solidarität, trotz aller Versuche, uns zu diffamieren und durch in Hinterzimmern getroffene Entscheidungen zu kriminalisieren, fortsetzen.“
Seit 2016 Kampf für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant:innen
Göçiz-Der wurde 2016 in Istanbul gegründet, um eine wirksame gesellschaftliche Solidarität mit Migrant:innen und Menschen auf der Flucht aufzubauen. In diesem Rahmen spielte insbesondere die Situation der in den Jahren 2015/16 durch die Zerstörung von nordkurdischen Städten etwa 500.000 Binnenvertriebenen eine wichtige Rolle. Der Verein versucht mit seinen Berichten und seinen Untersuchungen die Situation der Binnenflüchtlinge in den Fokus zu rücken und sie dabei zu unterstützen, gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Da er damit immer wieder schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen des türkischen Staates thematisiert, gerät der Verein immer wieder ins Visier der Repression.