Markthändler in Amed: Ohne Frieden keine Erholung der Wirtschaft

In der Türkei herrscht eine Wirtschaftskrise. Mindestlohnarbeiter leben unter der Armutsgrenze. Wir haben uns bei Markthändlern in Amed umgehört, wie sie die wirtschaftliche Lage beurteilen.

Das der Verteidigungsindustrie für die Kriegshetze des AKP/MHP-Regimes zugesprochene Budget trägt maßgeblich zur Verschärfung der Wirtschaftskrise in der Türkei bei. Die Rechnung dafür hat die Bevölkerung zu tragen.

Vor allem durch die steigende Inflationsrate der letzten Jahre werden auch Menschen, die nicht arbeitslos sind, unter die Armutsgrenze getrieben. Wie oft von Regierungsseite auch behauptet wird, dass sich die Wirtschaft erholt – die Ansichten von Gewerbetreibenden zum Alltagsleben besagen das genaue Gegenteil.

Marktbetreiber in Amed, die an sechs Tagen in der Woche ihre Stände aufbauen, haben sich gegenüber ANF zu der sinkenden Kaufkraft der Konsumenten und der fehlenden Nachfrage geäußert.

Nicht wie früher: Petersilie oder ein halbes Kilo Mohrrüben

Ramazan Atalay arbeitet seit Jahren als Gemüsehändler auf den Wochenmärkten in Amed. Er sagt, dass die Menschen nicht mehr einkaufen, weil sie verarmt sind. Durch die Preiserhöhung der Produkte auf dem Markt sei die Kaufkraft der Konsumenten gesunken: „Wenn das Kilo Tomaten sieben bis acht Lira kostet, können die Menschen nicht mehr wie früher einkaufen. Wegen der Arbeitslosigkeit gehen die Leute ja nicht einmal mehr auf die Straße. Wir beobachten, dass etwa zwei Drittel der Marktbesucher keine Kaufkraft haben. Sie kommen zum Markt und gehen mit leeren Händen wieder nach Hause. Und wer etwas kauft, nimmt nicht wie früher mehrere Kilo. Die Leute laufen über den gesamten Marktplatz und kaufen dann Petersilie oder ein halbes Kilo Mohrrüben.“

Geld reicht nicht bis zum Monatsanfang

Mehmet Emin Uçar bestätigt, dass das Geschäft nicht läuft und es sowohl den Käufern als auch den Händlern schlecht geht. Zur Atmosphäre auf dem Markt sagt er: „In den Wintermonaten steigen die Preise noch mehr. Das Verhältnis zwischen dem Lohn, den die Menschen bekommen, und den Kosten für Lebensmittel stimmt nicht. Bei Tausenden Familien reicht das Geld nicht bis zum Monatsende. Daher läuft im Moment gar nichts. Alle beurteilen die Wirtschaft aus ihrer eigenen Perspektive, deshalb behaupten einige, es gibt eine Krise, andere sagen, es gibt sie nicht. Wenn sich meine Kaufkraft verringert, heißt das, dass die wirtschaftliche Lage nicht gut ist. Für einen Abgeordneten mit einem Monatsgehalt von 20.000 Lira gibt es keine Wirtschaftskrise und er hat kein Problem mit seiner Kaufkraft. Einem Mindestlohnarbeiter zu sagen, dass es der Wirtschaft gut geht, macht keinen Sinn. Wie es mit der Wirtschaft bestellt ist, sehen wir im Vergleich der Kaufkraft unserer Kunden zu den letzten Jahren. Wer früher mehrere Kilo eines Produkts kaufte, nimmt jetzt nur noch ein halbes Kilo. Die Menschen schränken sich überall ein.“

Wirtschaftskrise und Krieg

Der Markthändler Mustafa Zana sieht einen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und dem Krieg: „Die fehlende Kaufkraft resultiert aus der Wirtschaftskrise, die wiederum aus der Tatsache resultiert, dass es keine Ruhe und keinen Frieden gibt. Wenn es in einem Land keine Ruhe, keinen Frieden und keine Sicherheit gibt, funktioniert die Wirtschaft nicht. Der Staat und die Machthabenden interessieren sich nicht besonders für die Menschen auf der Straße. Aber eines Tages wird die Bevölkerung Rechenschaft fordern. Wenn sich die wirtschaftliche Lage verbessern soll, muss der Wohlstand erhöht und Frieden geschaffen werden. Finden die ständigen Selbstmorde etwa ohne Grund statt? Wer nicht einmal Brot nach Hause bringen kann, will auf dieser Erde nicht mehr leben…“

Immer mehr Arbeitslose

Auch Osman Bal beobachtet einen drastischen Rückgang der Geschäfte: „Früher haben die Händler an sechs Tagen in der Woche ihre Stände aufgebaut, jetzt machen sie es nur noch zweimal. Es gibt immer mehr Arbeitslose. Regierungsvertreter sagen, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert. Die Lage ist überhaupt nicht gut. Es herrscht eine Wirtschaftskrise. Das kann niemand leugnen. Die Preissteigerungen bringen den gesamten Markt zum Erliegen. Was ich mir selbst nicht leisten kann, kann ich auch anderen nicht verkaufen.“