Noch immer ist das Echo um die Existenz der Contra-Miliz „Roj-Peschmerga” in Libyen nicht abgeklungen. Anfang der Woche hatte Ahmed al-Mismari, Sprecher der Libyschen Nationalarmee (LNA) von General Haftar, von Truppenverlegungen der Türkei in sein Land berichtet. Unter den von Ankara kontrollierten und zur Unterstützung des Muslimbruderregimes nach Libyen geschickten Milizen befinden sich offenbar auch Mitglieder der „Roj-Peschmerga“. Mismari hatte sogar von Aussagen eines gefangengenommenen Söldners berichtet, unter anderem beim syrisch-kurdischen Fernsehsender Ronahî TV. Daraufhin forderte der YNK-Abgeordnete Serko Azad Gelali das südkurdische Parlament und die Regierung auf, die auch mit modernen deutschen Waffen ausgestattete Miliz umgehend aufzulösen.
Über die „Roj-Peschmerga” in Libyen erklärte die Pressestelle der LNA: „Wir glauben, dass die fraglichen Personen auf organisierte Weise von der Türkei in die Region geschickt wurden. Wir sind im Besitz entsprechender Informationen. Keine Person kommt auf eigene Faust nach Libyen, um zu kämpfen.”
Laut Angaben des LNA-Pressezentrums begann die Anwesenheit von pro-türkischen Milizionären, die vom Regime in Ankara nach Libyen geschickt wurden, in der zweiten Jahreshälfte 2019. Zur Existenz der Struktur „Roj-Peschmerga” in dem nordafrikanischen Land und ihren gefangengenommenen Mitgliedern heißt es weiter: „Unter ihnen befinden sich auch syrische Staatsbürger. Sie zählen sich zur Struktur der ‚Graue Wölfe’. Eigenen Angaben nach wurden sie in Hewlêr (Erbil, Südkurdistan) vom türkischen Geheimdienst MIT ausgebildet. Sie geben an, einen Monatssold über 2.000 US-Dollar zu beziehen und unter dem Kommando des MIT zu stehen. Wir sind schockiert darüber, dass Kurden dieser Struktur angehören und sich als ihre Mitglieder in Libyen befinden.”
Angriffe auf Rojava und Şengal
Die „Roj-Peschmerga“ sind auf Mesud Barzanîs Anordnung am 12. April 2012 gegen die revolutionären Kräfte in Rojava gegründet worden und sollten gegen die dortige Selbstverwaltung im Sinne der PDK und der türkischen Regierung vorgehen. Sie stehen dem von der PDK und dem MIT kontrollierten „Kurdischen Nationalrat“ ENKS nahe, ihre knapp 6.000 Milizionäre wurden vor allem in Flüchtlingslagern in Südkurdistan rekrutiert. In Rojava Fuß fassen konnten die „Roj-Peschmerga” nicht, da sie keinen Rückhalt bei der Bevölkerung genießen. In der Vergangenheit traten sie allerdings immer wieder bei Angriffen auf Rojava und die Şengal-Region in Erscheinung. Zum Einsatz kamen dabei auch deutsche Panzerfahrzeuge vom Typ Dingo.
Mit Ausbruch der Krise in Syrien im Jahr 2011 bildeten sich viele verschiedene Gruppen, über die Jahre beteiligen sich immer mehr Nationen und Gruppierungen an einem Konflikt, der heute auf ein kompliziertes Geflecht verschiedener Akteure trifft. Auch in Rojava traten verschiedene Gruppen hervor. Die „Roj-Peschmerga” stehen ideologisch in der Tradition der Muslimbruderschaft und bewegen sich innerhalb der dschihadistischen Strukturen der sogenannten „Opposition Syriens“. In nordsyrischen Regionen wie Efrîn, Kobanê und Cizîrê machte diese Contra-Miliz über ihre Fraktionen wie „Tabûra Azadî”, „Tabûra Sehaladîn Eyûbî”, „Yusif el-Ezma” und „Tabûra Komele” mit Angriffen auf Kurden von sich reden.
Massaker in Til Eran und Til Hasil
Mit Beginn der Revolution von Rojava kam es in den überwiegend von Kurden bewohnten Regionen des nordsyrischen Gouvernements Aleppo zu einer Reihe von provokativen Angriffen. Vor allem in Şêxmeqsûd (Scheich Maksud) und Eşrefiyê (al-Ashrafiya) wurde die Zivilbevölkerung von ENKS-Gruppen angegriffen. Im Oktober 2012 starben in Eşrefiyê zehn Zivilisten bei einem Angriff der Azadî-Gruppe. In Efrîn griffen ENKS-Gruppen gemeinsam mit Liwa al-Tawhid das ezidische Dorf Qastel Cindo an.
Nach diesen Geschehnissen fällt besonders ihre Beteiligung am Massaker von Til Eran (Tell Aran) und Til Hasil (Tell Hasil) ins Auge. Das Massaker wurde von al-Nusra und zu den „Roj-Peschmerga” gehörigen Söldnern am 27. Juli 2013 begangen. Dabei wurden mehr als 40 Menschen ermordet, sieben der Getöteten wurden geköpft.
Die Azadî-Gruppe unter der Führung von Azad Şehbo aus Til Eran war unter den Tätern. Azad Şehbos Vater war ein hochrangiger Soldat im syrischen Staatsdienst und bereits an Massakern an der Bevölkerung der Region beteiligt.
Allianz mit al-Nusra
In Kobanê kooperierten Söldner der „Roj-Peschmerga” mit anderen FSA-Gruppen. Neben der Bewaffnung antikurdischer Kräfte trieben sie unter dem Deckmantel vermeintlicher „Steuern” Schutzgelder für die FSA ein. In der Cizîrê-Region wirkten ihre Gruppen „Tabûra Neviyên Barzanî” (Bataillon der Enkel Barzanîs), „Tabûra Mişel Temo“ und „Tabûra Şêx Maşûq” aktiv mit bei Angriffen auf Kurden. In Serêkaniyê (Ras al-Ain) gingen sie Allianzen mit der Al-Nusra-Front ein. Als die massive Angriffswelle auf Serêkaniyê von den YPG/YPJ gebrochen wurde, floh ein Teil der Konter-Kräfte über die türkische Grenze nach Ceylanpinar, ein anderer nach Hewlêr.
Bombenanschläge auf YPG-Stellungen in Rojava
Einige Söldner der„Roj-Peschmerga”, die nach Bombenanschlägen auf YPG-Stellungen in Dêrik, Qamişlo, Tirbêspiyê und anderen Regionen von Rojava gefasst worden waren, gaben bei ihren Vernehmungen an, in Ausbildungslagern wie Bnaslawa bei Hewlêr, in Khinis und im Stützpunkt Bashiqa nahe Mossul von der türkischen Armee und dem MIT trainiert worden zu sein – zunächst als „Pêşmergeyên Rojava“, später dann nur noch als „Roj-Peschmerga“.
Xanesor/Şengal, 3. März 2017
Angriff auf Xanesor
Auch hinter dem Angriff vom 3. März 2017 auf Xanesor bei Şengal steckten die „Roj-Peschmerga“. Bereits Wochen zuvor hatte sich die Konfrontation angebahnt, da es immer wieder zu Provokationen durch die Contra-Miliz kam. Am besagten Tag stellten sich zwei Mitglieder der Volksverteidigungskräfte (HPG) friedlich dem Konvoi der „Roj-Peschmerga“ entgegen – und wurden aus einem Dingo-Transporter der Bundeswehr heraus erschossen. Bei den folgenden Angriffen durch die von der Türkei gesteuerte Miliz wurden zehn Angehörige der ezidischen Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) und die Journalistin Nûjiyan Erhan getötet. An der Besatzung von Efrîn in Nordsyrien nahmen später sechs Bataillone der „Roj-Peschmerga“ teil.