Ab dem 10. Juli waren zwei Referentinnen aus dem Herausgeber:innenkollektiv der „Feministischen Organisierung: Gemeinsam kämpfen!" mit dem Buch „Verändern wollte ich eine Menge - Aus dem Leben der Internationalistin Ellen Stêrk" im Süden Deutschlands und in der Schweiz auf einer Lesereise unterwegs, die gestern in Nürnberg endete.
In acht Städten stellten sie die Lebensgeschichte von Ellen/Stêrk, einer 2016 an Krebs verstorbenen Vorreiterin von „Gemeinsam kämpfen!", vor. Sie erreichten hiermit über 200 Menschen, die sich durchweg tief berührt zeigten.
Während in einigen Städten der Austausch über die Vielfalt innerhalb politischer Organisierungen verknüpft mit der Frage nach dem Weg einer wirklichen revolutionären Veränderung der Gesellschaft im Fokus stand, erkannten sich andernorts Aktivist:innen selbst sowie auch weitere nahe Personen in den Fragen von Ellen/Stêrk wieder. „Die Lesung ging mir wirklich sehr nahe, an einigen Stellen musste ich schon schlucken. Der Weg einer feministischen Internationalistin, die an vielen verschiedenen Ansätzen probiert hat und versuchte, einen Weg zu finden, darin erkenne ich mich und viele andere wieder. Es ist sehr inspirierend, diese Entwicklung von ihr zu sehen, vom Aktivismus in autonomen Gruppen bis zu dem mutigen Schritt, in der kurdischen Frauenguerilla in den Bergen zu lernen, um dann wieder nach Deutschland zu kommen, um hier gemeinsam Lösungsansätze und breite Organisierung zu entwickeln. Viele Aktivist:innen, die ich kenne, sind ähnlich wie Ellen/Stêrk auf der Suche nach Wahrheit, und solche Bücher, solche Geschichten sind darin sehr bestärkend", sagte ein Teilnehmer nach der Lesung in Zürich.
Auch die Frage nach verschiedenen Ebenen des Kampfes und deren Gewichtung spielte in den Diskussionen eine Rolle. Greife der Feind auf allen Ebenen an, so sei es selbstverständlich sowohl notwendig wie auch legitim, sich auf allen Ebenen zu verteidigen. Dies dürfe aber nicht bedeuten, dass andere Formen als der bewaffnete Kampf weniger entscheidend seien, vielmehr müssen jeweils geschaut werden, was konkret der angemessene Weg sei. So der Tenor beispielsweise in Konstanz, wo auch historischen Parallelen zur internationalistischen Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg gezogen wurden.
Immer wieder wurden auf den Veranstaltungen Bezüge zu aktuellen sowie historischen Ereignissen hergestellt. So jährte sich der Völkermord von Srebrenica am 11. Juli zum 28. mal, woran gemeinsam erinnert wurde. Am 14. Juli 1982 begannen kurdische Revolutionäre im Militärgefängnis von Amed (tr. Diyarbakir) ihren Hungerstreik, auch die Bedeutung dieses Datums wurde hervorgehoben. An vielen Orten war insbesondere das Bild des Internationalisten Thomas (Kampfname Azad Şergeş) aus Deutschland präsent, der am 15. Juni diesen Jahres gemeinsam mit Asya Kanîreş, einer türkischen Internationalistin, und Koçer Medya aus Rojhilat nach einer erfolgreichen Aktion gegen die türkische Besatzungsarmee im Gebiet Kolît in Südkurdistan ums Leben kam. Thomas lebte bis 2016 in Süddeutschland und war dort jahrelang politisch aktiv.
Bezüglich aktueller Geschehnisse wurde immer wieder der Bezug zum hundertjährigen Jubiläum des Lausanner Vertrags hergestellt und auf die Wichtigkeit der Teilnahme am Protest sowie auf die gemeinsamen Busanreisen hingewiesen. Und es wurde zur Solidarität mit Mazlum Dağ und Abdurrahman Er aufgerufen, die sich derzeit seit über 60 Tagen im Hungerstreik befinden. Mazlum Dağ und Abdurrahman Er sind in Südkurdistan inhaftiert und zum Tode verurteilt worden. Im Gefängnis waren sie zunächst mit „IS"-Anhängern in einer Zelle untergebracht, immer wieder gibt es Gewalt- und Todesdrohungen gegen sie. Um gegen die Haftbedingungen sowie das Urteil zu protestieren, sahen die beiden keinen anderen Weg mehr, als ihre eigene Gesundheit und ihr Leben in die Waagschale zu werfen, ihr Zustand ist mittlerweile sehr kritisch. Ihr Widerstand blieb bisher wirkungslos, weshalb die internationale Unterstützung umso wichtiger erscheine, wurde an unterschiedlichen Orten betont.
Die Vielfalt der besprochenen Themen, der Bezug von gestern-heute-morgen, die konkreten Planungen für die kommende Zeit und das tiefgreifende Erinnern an diejenigen, die durch und in Kämpfen für immer lebendig sein werden, zeigt auch die Lebendigkeit der Kämpfe heute und die tiefe Verbundenheit zueinander. „Es war sehr berührend von Ellen/Stêrk zu hören. Ihre Geschichte macht mich sehr stolz und gleichzeitig sehr traurig. Sie hat mit so viel Mut und Entschlossenheit für die Freiheit gekämpft, nicht nur für ihre eigene. Sie hat ihren Namen mit goldenen Buchstaben in die Geschichte geschrieben", fasste eine kurdische Genossin gefühlvoll zusammen.
Das Herausgeber:innenkollektiv hat das Buch „Verändern wollte ich eine Menge - Aus dem Leben der Internationalistin Ellen Stêrk" seit Mai 2022 an insgesamt 32 Orten in Deutschland und der Schweiz vorgestellt und ihre Fragen dabei mit knapp 800 Menschen geteilt. Bei Interesse an einer Lesung kann über [email protected] Kontakt aufgenommen werden.