Nachdem die türkische Armee Ende April einen weiteren Vorstoß in die türkisch-irakische Grenzregion unternommen hatte, wurde nicht spekuliert, ob eine umfassende Ausweitung dieser Bodenoperationen bevorsteht, sondern wann. Am 15. Juni hat nun die neue Invasion der Türkei in der Kurdistan-Region des Irak (KRI) mit Billigung der in Hewlêr (Erbil) herrschenden Barzanî-Partei PDK begonnen. Die Verlegung einer großen Anzahl von Truppen, schwerem Gerät, Panzern und Artillerie rund um die strategische Stadt Amêdî, der Bau neuer Militärstützpunkte in der Region, die Errichtung von Kontrollposten an Verbindungsstraßen samt Identitätskontrollen von kurdischen Bürgerinnen und Bürgern, gewaltsame Dorfräumungen und permanente Bombardierungen vom Boden und aus der Luft legen nahe, dass sich die drohende „Sommeroffensive“ der Türkei gegen die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf das Gare-Massiv konzentrieren wird.
Für den Nationalkongress Kurdistan (KNK) lassen die türkischen Truppenkonzentrationen in der KRI den Schluss einer „schleichenden, dauerhaften Besetzung“ der Region durch die Türkei zu, die langfristig zu einem „regionalen Krieg mit globalen Auswirkungen“ führen werde. „Die Invasion folgt auf den Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Bagdad und Erbil im April. Erdoğan erhielt grünes Licht für die Invasion im Gegenzug für lukrative Konzessionen in den Bereichen Öl, Infrastruktur und Wasser für die irakische Zentralregierung und die Autonomieregierung der KRI“, erklärte der KNK am Montag in Brüssel. Das ist möglicherweise der Grund, warum dem türkischen Expansionismus im Irak kein Einhalt geboten wird.
Trotz hunderter Angriffe auf Dörfer und Siedlungen, die von der türkischen Armee seit Mitte Juni laut der NGO Community Peacemaker Teams (CPT) in Amêdî und seinem Umland verübt wurden, der Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen durch gezielte Brandstiftung, der Vernichtung lebenswichtiger Infrastruktur und der Vertreibung der Zivilbevölkerung, schweigt die internationale Gemeinschaft zum Krieg der Türkei in Kurdistan. Bisher gab es keine einzige öffentliche Verurteilung der Angriffe durch westliche Regierungen und Organisationen und die mediale Berichterstattung beschränkt sich auf eine Handvoll linke, solidarische Zeitungen. Abermals ruft der türkische Staatsterror gegen die kurdische Bevölkerung keine Reaktionen hervor.
Der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel, hat unlängst indirekt die Zustimmung Washingtons zur Besetzung von Teilen der KRI durch die Türkei signalisiert. Der von den USA kontrollierte Luftraum des Irak ist für türkische Kampfbomber ohnehin seit Jahren freigegeben. Etwa zeitgleich zu den Äußerungen Patels gaben die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) sowie die YNK (Patriotische Union Kurdistans), zweitgrößte politische Partei in der KRI und an der dortigen Regierung beteiligt, bekannt, dass die Türkei bei ihrer Besatzungsoffensive gegen die Guerilla Söldner der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) einsetze.
„In dieser Situation gibt es nur eine Position“, betonte der KNK: „Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, sich mit der Aggression der Türkei gegen die Kurdinnen und Kurden und deren Missachtung des Völkerrechts und der Souveränität der Region Kurdistan und des Irak auseinanderzusetzen. Es ist besorgniserregend, dass die Medien und Institutionen weltweit nicht auf die Militäraktionen und Menschenrechtsverletzungen der Türkei reagieren. Ein sofortiges Eingreifen der irakischen Regierung, der USA, der EU, der UN und des Europarates ist unabdingbar, um die eskalierende Gewalt zu stoppen.“