Koçyiğit: „Friedensprozess braucht gesetzliche Grundlage“

Die DEM-Fraktionsvorsitzende Gülistan Kılıç Koçyiğit fordert vor dem Hintergrund des geplanten 10. Justizpakets strukturelle Reformen und ein gesetzliches Fundament für den Friedensprozess. Auch die Ungleichbehandlung politischer Gefangener sei unhaltbar.

Rechtsstaatlichkeit darf keine Auslegungssache sein

Die Fraktionsvorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Gülistan Kılıç Koçyiğit, hat in einer Pressekonferenz im türkischen Parlament umfassende rechtspolitische Reformen sowie eine gesetzlich verankerte Friedensinitiative gefordert. Im Zentrum ihrer Ausführungen standen das 10. Justizreformpaket, das in dieser Woche zur Abstimmung vorgelegt werden soll, die Ungleichbehandlung politischer Gefangener sowie die Notwendigkeit eines parlamentarischen Ausschusses zur Lösung der kurdischen Frage.

„Ohne juristische Aufarbeitung keine Versöhnung“

Koçyiğit erinnerte eingangs an den Jahrestag des Pogroms von Çorum (1980) und rief zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung politisch motivierter Gewalt auf: „Solange die Verantwortlichen vergangener Gräueltaten nicht benannt werden, bleibt auch die Tür für künftige Katastrophen offen. Eine Kultur des Gedenkens und der Gerechtigkeit ist die Grundlage für Versöhnung und Demokratie.“

Kritik am 10. Justizpaket: „Es fehlt der politische Wille“

Mit Blick auf das geplante 10. Justizpaket äußerte sich Koçyiğit skeptisch: „Neun Pakete haben keine strukturellen Ungerechtigkeiten beseitigt. Warum sollte das zehnte es tun?“ Die demokratische Zukunft der Türkei, so Koçyiğit, sei unmittelbar an eine grundlegende Reform des Justizsystems geknüpft: „Es braucht mehr als kosmetische Korrekturen. Wir fordern die sofortige Freilassung aller unrechtmäßig Inhaftierten und strukturelle Veränderungen, die die gesellschaftlichen Wunden heilen.“

Forderung: Gleichheit bei Haftbedingungen

Insbesondere die Unterschiede bei Strafzumessung und Haftvollzug zwischen politischen Gefangenen und anderen Häftlingen seien nicht hinnehmbar. Koçyiğit hob hervor, dass politische Gefangene – etwa nach dem Antiterrorgesetz Verurteilte – systematisch von Strafmilderungen ausgeschlossen werden: „Während Gewaltverbrecher frühzeitig entlassen werden, bleiben Menschen in Haft, die Briefe schreiben oder Meinungen äußern. Das ist ein eklatanter Bruch rechtsstaatlicher Grundprinzipien.“

Auch bei der Anwendung von Paragraphen zur bedingten Entlassung und zum offenen Vollzug würden politische Gefangene benachteiligt – ein Zustand, den Koçyiğit als Ausdruck eines parteiischen Rechtssystems bezeichnete. „Gleichheit im Strafvollzug und Gerechtigkeit bei der Strafzumessung – das muss die Grundlage jeder Reform sein.“

Gesetzliche Grundlage für Friedensprozess gefordert

In Bezug auf den aktuellen politischen Prozess rund um die kurdische Frage erinnerte Koçyiğit an den Friedensappell von Abdullah Öcalan vom 27. Februar und den darauffolgenden Auflösungskongress der PKK. Doch sie kritisierte: „Dieser Prozess hat bislang keine gesetzliche Grundlage. Es fehlt eine verbindliche Regelung wie das Friedensrahmengesetz, das den Prozess juristisch absichert.“ Die Politikerin forderte ein klares gesetzliches Fundament, um mögliche Verhandlungen glaubwürdig und transparent zu gestalten.

Parlamentarischer Ausschuss zur Konfliktlösung

Ein zentrales Anliegen sei zudem die Einrichtung eines parlamentarischen Ausschusses zur Lösung der kurdischen Frage. Koçyiğit verwies dabei auf entsprechende Äußerungen Abdullah Öcalans Ende Dezember sowie auf bereits begonnene Gespräche ihrer Partei mit anderen Fraktionen: „Wir sprechen uns für einen gesetzlich verankerten Sonderausschuss aus, der unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, von Frauenverbänden, Akademiker:innen und Journalist:innen arbeitet – demokratisch, transparent und offen für internationale Erfahrungen.“

„Jetzt ist Zeit zu handeln“

Abschließend betonte Koçyiğit, dass das Parlament Verantwortung übernehmen müsse – und zwar sichtbar für die Gesellschaft: „Was wir brauchen, ist ein politischer Neuanfang im Namen von Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie. Und dafür braucht es nicht nur Dialog, sondern konkrete gesetzliche Schritte – noch vor dem kommenden Feiertag.“ Die DEM-Politikerin schloss mit dem Appell: „Der Ball liegt beim Gesetzgeber. Jetzt ist der Moment, klare Zeichen zu setzen.“