Die verfahrensführende Staatsanwaltschaft im Kobanê-Prozess in Ankara hat Einspruch gegen die Aufhebung der Haftbefehle von vier Angeklagten eingelegt. Auch die Zentralbehörde der türkischen Polizei, das Innenministerium sowie die Gendarmerie, die in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten, legten Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung ein.
Am Dienstag vergangene Woche hatte die 22. Große Strafkammer zu Ankara die Entlassung des früheren Bürgermeisters von Qers (tr. Kars), Ayhan Bilgen, sowie der ehemaligen HDP-Vorstandsmitglieder Berfin Özgü Köse, Can Memiş und Cihan Erdal aus der Untersuchungshaft angeordnet – allerdings gegen Meldeauflagen. Alle vier waren vergangenen Oktober in der türkischen Hauptstadt verhaftet worden. Prompt waren Staatsanwalt und Polizeibehörden mit der Begründung, dass „aufgrund der hohen Straferwartung ein derart hoher Fluchtanreiz gegeben” sei, der die Annahme nahe lege, „dass sich die Beschuldigten dem Verfahren durch Flucht entziehen” gegen die Entscheidung vorgegangen. Die Schwere der gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe stelle einen „absoluten Haftgrund“ dar.
Angeklagt im sogenannten Kobanê-Verfahren von Ankara sind 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und der kurdischen Befreiungsbewegung, die im Zusammenhang mit den Protesten während des IS-Angriffs auf Kobanê im Oktober 2014 terroristischer Straftaten und des Mordes in dutzenden Fällen beschuldigt werden. Allein für den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş fordert die Generalstaatsanwaltschaft bis zu 15.000 utopische Jahre Haft. Bisher waren 28 der Angeklagten inhaftiert.
Die 22. Große Strafkammer wies alle Einwände gegen die Haftentlassungen von Bilgen und Co als „unbegründet” ab. Nun ist die Staatsanwaltschaft vor die nächsthöhere Instanz gezogen und versucht bei der 23. Strafkammer in Ankara ihr Glück. Es wird erwartet, dass das Gericht bis spätestens Anfang nächster Woche eine Entscheidung trifft. Derweil findet im Kobanê-Verfahren am morgigen Freitag die zehnte Sitzung der dritten Hauptverhandlung statt.