Karayılan: Frieden erfordert Entgegenkommen von beiden Seiten

„Unsere Entscheidung für den Frieden ist ein bewusst gewählter Weg, kein Akt der Verzweiflung“, sagt Murat Karayılan (PKK) und bekräftigt die Forderung, dass eine Entwaffnung nur unter der persönlichen Leitung von Abdullah Öcalan möglich sei.

Kapitulation kommt nicht in Frage

Murat Karayılan hat sich als Mitglied des Exekutivkomitees der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu Abdullah Öcalans Friedensaufruf geäußert. In einem im kurdischen Fernsehsender Stêrk TV ausgestrahlten Interview bekräftigte Karayılan die Bedingung der PKK, dass ein Prozess zur Auflösung der Organisation durch Öcalan persönlich umgesetzt werden müsse. „Er muss die Möglichkeit erhalten, in Freiheit zu leben und zu arbeiten“, betonte Karayılan. Ein nachhaltiger Wandel – einschließlich der Entwaffnung der PKK – könne nur durch Öcalans direkte Beteiligung an einem Kongress erreicht werden. Dies erfordere gesetzliche Anpassungen seitens des türkischen Staates, um Öcalans Handlungsspielraum zu erweitern.

Historischer Aufruf für Frieden und Demokratie

In seinem historischen „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ forderte Abdullah Öcalan, der seit über 25 Jahren inhaftierte Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung, am 27. Februar die PKK zum Gewaltverzicht und Selbstauflösung auf. Dafür solle die PKK einen Kongress abhalten, um die Integration der Organisation in den türkischen Staat und die Gesellschaft zu beschließen. Bisherige Forderungen nach einem separaten Nationalstaat, Föderalismus oder Verwaltungsautonomie hätten zu keiner Lösung für die gesellschaftlichen Herausforderungen geführt. Ein wirklicher Frieden könne laut Öcalan nur durch die Schaffung und Sicherung einer demokratischen Gesellschaft erreicht werden, die auf Partizipation und Gleichberechtigung basiere.

Türkei verlangt Kapitulation der PKK

Die PKK rief als Antwort auf Öcalans Appell einen einseitigen Waffenstillstand mit der Türkei aus und erklärte, lediglich ihr Recht auf Selbstverteidigung auszuüben, sofern es die Situation erfordere, knüpfte die Umsetzung des Aufrufs jedoch an klare Bedingungen: politische und rechtliche Reformen sowie die Möglichkeit eines Kongresses unter Öcalans Führung. Die Türkei wiederum fordert eine bedingungslose Auflösung der kurdischen Arbeiterpartei, erst dann wolle man die Angriffe auf die PKK-Guerilla einstellen. In den knapp drei Wochen, die seit dem Aufruf Öcalans vergangen sind, steigert die Türkei mit jedem Tag ihre Kriegshandlungen gegen die von der PKK kontrollierten Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan. Auch der Krieg gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien eskaliert.

Karayılan: Öcalan muss Prozess steuern, Menschen organisieren und überzeugen

„Der türkische Staat muss verstehen, dass Rêber Apo [Abdullah Öcalan] mit seinem Aufruf ein epochales Angebot gemacht hat. Unsere Bewegung existiert seit 52 Jahren, unser bewaffneter Kampf dauert 41 Jahre an. Die Entscheidung, eine Partei aufzulösen oder Waffen niederzulegen, ist keine Kleinigkeit. Dies kann nur unter der direkten Leitung von Rêber Apo geschehen. Er muss in der Lage sein, diesen Prozess zu steuern, Menschen zu organisieren und zu überzeugen. Der Staat muss dafür gesetzliche Regelungen schaffen und Rêber Apos Handlungsspielraum erweitern“, so Karayılan. „Stattdessen gibt es Spekulationen um einen möglichen Zeitpunkt für einen Kongresses, während der Krieg in aller Härte fortgesetzt wird. Wenn sie wirklich eine politische Lösung wollen, müssen sie die notwendigen Schritte unternehmen, um Rêber Apo aktiv am Prozess zu beteiligen.“

Martialische Kriegsrhetorik fördert Frieden nicht

Karayılan kritisierte auch die anhaltende feindselige Rhetorik der Regierung und betonte, dass eine friedliche Lösung nur durch eine Abkehr vom Krieg und der Anerkennung der kurdischen Forderungen möglich sei. Er wies darauf hin, dass die PKK sich nicht aufgrund militärischer Niederlagen, sondern aus Überzeugung und in Übereinstimmung mit Öcalans langfristigem Friedensprojekt für eine Waffenruhe entschieden habe. „Diese martialische Sprache und das Gerede von Terrorismus und einer vollständigen Kapitulation unserer Kräfte muss aufhören. Die kurdische Frage besteht seit Jahrhunderten. Die Republik hat vor 100 Jahren versucht, sie durch Krieg zu lösen – ohne Erfolg. Nun sagen sie: ‚Kapituliert bedingungslos oder wir werden euch auslöschen!‘ Wer soll das tun? Unsere Kämpfer:innen sind Menschen, die sich freiwillig diesem Widerstand angeschlossen haben. Sie werden sich nicht durch leere Worte beugen lassen.

Es gibt Kräfte, die diesen Friedensprozess sabotieren wollen – auf beiden Seiten. Viele profitieren vom Krieg. Doch Rêber Apo möchte diesen Zyklus durchbrechen. Er will einen Wandel nicht nur für die Kurdinnen und Kurden, sondern auch für die Türkei insgesamt. Wenn die türkische Regierung die gegenwärtige Krise mit einer Lösung der kurdischen Frage bewältigen will, sind wir bereit. Doch sie müssen ernsthafte Schritte unternehmen. Friedensprozesse erfordern Entgegenkommen von beiden Seiten.“

Mit Blick auf die Angriffe der türkischen Armee auf die kurdische Guerilla warf Karayılan den Verantwortlichen von Armee und Regierung vor, durch übertriebene Erfolgsmeldungen eine propagandistische Kriegsführung zu betreiben. „Das ist psychologische Kriegsführung, was dort umgesetzt wird. Wir haben diesen Prozess nicht begonnen, weil wir ‚besiegt‘ wurden. Wir sind stärker denn je – ideologisch, politisch und militärisch. Die Entscheidung für eine politische Lösung basiert auf der Vision von Rêber Apo, nicht auf Schwäche. Die Regierung versucht, unsere Bewegung kleinzureden, aber die Realität sieht anders aus. Unsere Kämpfer:innen haben sich an die moderne Kriegsführung angepasst, technologische Entwicklungen integriert und ihre Strukturen gestärkt. Unsere Bewegung hat eine tiefe ideologische und gesellschaftliche Basis, die weit über den militärischen Kampf hinausgeht. Unsere Entscheidung für den Frieden ist ein bewusst gewählter Weg, kein Akt der Verzweiflung. Doch wenn der Staat nicht darauf eingeht und weiter auf Krieg setzt, dann sind wir darauf vorbereitet. Wir sind eine Bewegung, die sich auf Rêber Apo stützt. Wir glauben an seinen Friedensprozess. Doch falls die Türkei diesen Weg blockiert und weiter gegen uns kämpft, sind wir bereit, uns zu verteidigen. Die Wahl liegt bei ihnen.“

„Bijî Serok Apo“ bei Newroz in den Mittelpunkt stellen

In Bezug auf das nahende Neujahrsfest Newroz bezeichnete Karayılan 2025 als einen historischen Wendepunkt, der zur Freiheit Öcalans und zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage führen könnte. Er rief zu einer massenhaften Beteiligung an den Feierlichkeiten auf, insbesondere am 21. März in Amed (tr. Diyarbakır), und betonte, dass die Parolen „Bijî Serok Apo“ und „Freiheit für Öcalan“ im Mittelpunkt stehen sollten.