Murat Karayılan hat als Kommandant des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte (HPG) anlässlich des 46. Jahrestages der Gründung der PKK eine Ansprache an die Freiheitsguerilla Kurdistans gehalten und zu der aktuellen Debatte über eine Lösung der kurdischen Frage unter Einbeziehung von Abdullah Öcalan unter anderem Folgendes gesagt:
Die wichtigsten Positionen wurden verteidigt
Der türkische Staat hat Rojava, Başûr und sogar Rojhilat angegriffen, hat hunderte Male umfangreiche Operationen in allen Regionen von Bakur durchgeführt. Er hat in den letzten neun Jahren alle möglichen Methoden gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans angewandt, aber der Widerstand hat verhindert, dass er das gewünschte Ergebnis erzielt hat. Es stimmt, er hat vielleicht einige Orte besetzt, aber unsere Bewegung hat ihre Hauptpositionen geschützt.
Der Staat ist unter Druck geraten
Da er gescheitert ist und keine Ergebnisse erzielt hat, haben sich seine inneren Widersprüche vertieft. Das derzeitige Regime hat die gesamten Einnahmen der Türkei für den Krieg ausgegeben. Diese Situation brachte eine tiefe soziale, politische und wirtschaftliche Krise mit sich. Aus diesem Grund ist das AKP/MHP-Regime unter Druck geraten.
Krieg im Nahen Osten
Auf der anderen Seite eskaliert der Dritte Weltkrieg, in dessen Zentrum der Nahe Osten steht. Infolge dieses Krieges wird in der Region ein neuer Entwurf auf die Tagesordnung kommen. Die Freiheitsbewegung Kurdistans hat die Voraussetzungen, diese Chancen zu nutzen und verschiedene Optionen und große Schritte zu realisieren. Diese Tatsache hat die Regierung noch mehr in Bedrängnis gebracht und sie in Panik versetzt. Aus diesem Grund versucht sie nun, solche Entwicklungen zu verhindern.
Aufruf von MHP-Chef Devlet Bahçeli
Der Aufruf von Devlet Bahçeli ist eine dieser Methoden. Sein Ruf nach Rêber Apo [Abdullah Öcalan] entspringt dem Stau, in dem sich das türkische System befindet. Das muss man richtig sehen und lesen. Wäre der türkische Staat nicht in Bedrängnis, hätte er einen solchen Aufruf nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Angesichts des Aufrufs von Bahçeli betonten die Führung unserer Bewegung und alle Komponenten des kurdischen Freiheitskampfes, dass Rêber Apo der erste Gesprächspartner für eine Lösung ist, und sagten: „Wir stehen hinter dem Prozess, der von Rêber Apo entwickelt wird.“ Der türkische Staat hat in der Zwischenzeit keine Schritte unternommen. Er hat nur erklärt, dass er hinter dem Aufruf von Bahçeli steht. Sonst hat er nichts unternommen.
Keine Botschaft außer zwei Sätzen
Um es klar zu sagen: Bis jetzt hat unsere Bewegung, abgesehen von den zwei Sätzen von Rêber Apo, die nach seinem Gespräch mit Ömer Öcalan an die Öffentlichkeit gelangten, keine Botschaft von ihm erhalten. Es gab auch keine Botschaft vom türkischen Staat.
Wir haben dem Aufruf Bedeutung beigemessen
Als Bewegung haben wir dem Aufruf von Bahçeli Bedeutung beigemessen und eine Erklärung abgegeben, dass wir hinter einem Prozess stehen, der von Rêber Apo durchgeführt werden soll. Aber nach den Erklärungen von Devlet Bahçeli wurden keine Schritte unternommen, die positiv interpretiert werden können, und es werden falsche Nachrichten zu diesem Thema verbreitet. Es sollte bekannt sein, dass die militärischen Institutionen des kurdischen Freiheitskampfes und alle, die auf der Grundlage der Freiheit Kurdistans handeln, Rêber Apo als freiwilligen Vertreter für sich selbst sehen. Nun zielen alle Bemühungen des Regimes darauf ab, Widersprüche, Zögerlichkeit und Zersplitterung innerhalb des kurdischen Freiheitskampfes zu erzeugen. Solche Bemühungen sind vergeblich und werden zu keinem Ergebnis führen. Niemand kann einen solchen Widerspruch erzeugen. Alle sollten das wissen.
Verbrüderung im Diskurs, Angriff in der Praxis
Der türkische Staat betrachtet die Art der von Bahçeli verwendeten Worte als besondere Kriegstaktik. Zum Beispiel haben sie einerseits solche Aufrufe gemacht und es so dargestellt, als ob sie eine Lösung mit den Kurden entwickeln wollten. Sie sprachen von historischer Brüderlichkeit. Auf der anderen Seite haben sie nicht nur keine praktischen Schritte unternommen, sondern auch angegriffen. Sie haben zum Beispiel eine Zwangsverwaltungspolitik entwickelt. Die Ernennung von Treuhändern in Gemeinden ist ein Angriff auf den Willen des kurdischen Volkes. Auch die Angriffe gegen die Guerilla gehen weiter. Jeden Tag bedroht Tayyip Erdoğan Rojava; sie bereiten sich auf einen Angriff gegen Rojava vor. Wie können wir also glauben, dass sie wirklich eine Lösung entwickeln wollen? Offensichtlich gibt es so etwas nicht.
Die kurdische Frage ist ein ernstes Problem
Die kurdische Frage ist das wichtigste und schwerwiegendste Problem der Türkei. Es ist kein Problem, das mit ein paar Aufrufen und ohne radikale Änderungen und Korrekturen in rechtlicher und verfassungsrechtlicher Hinsicht gelöst werden kann. Wenn keine ernsthaften und überzeugende Schritte erfolgen, ist es nicht möglich, ihnen zu glauben und selbst entsprechende Schritte zu unternehmen. Da es so etwas nicht gibt, gibt es auch keine Lösung. Im Gegenteil, es gibt Vernichtungsangriffe.
Von hier aus gibt es kein Zurück mehr
Unabhängig von ihren Zielen ist es jedoch ein wichtiger Punkt, dass Devlet Bahçeli die Freiheit von Rêber Apo auf die Agenda gesetzt hat. Es bedeutet auch eine Akzeptanz. Heute wird die Freiheit von Rêber Apo in den türkischen Medien diskutiert. Früher haben nur die kurdischen Medien darüber gesprochen, heute spricht die ganze Türkei und die Welt darüber. Es kann keinen Schritt mehr zurück geben. Hier gibt es kein Zurück mehr. Es ist Zeit für die physische Freiheit von Rêber Apo. Es ist zweifellos ein wichtiger Erfolg, dass seine Freiheit auf der Tagesordnung steht.
Besuch von Ömer Öcalan
Erfreulich für unser Volk und uns alle war in dieser Zeit das Treffen von Ömer Öcalan mit Rêber Apo. Rêber Apo befindet sich unter der Folter einer verschärften Isolation. Es gab sogar Gerüchte über seinen Gesundheitszustand, verschiedene Zweifel waren aufgekommen. Deshalb war es gut, dass Ömer Öcalan ihn besucht hat. Natürlich bedeutet dieses Treffen nicht, dass die Isolation beendet ist. Die Isolation geht weiter. Das hat Rêber Apo bereits in seiner öffentlich gemachten Botschaft erklärt.
Wir müssen seine Hand stärken
In der entsprechenden Botschaft erklärte er auch, dass er praktisch und ideologisch über die für eine Lösung erforderliche Kraft verfügt, wenn die Gelegenheit dazu geschaffen wird. Einmal mehr sehen wir, dass er mit einer historischen und bedeutungsvollen Haltung einen sehr wichtigen Kampf für unsere Völker führt und eine schwere Last auf sich genommen hat, die eine große Verantwortung bedeutet. Um erfolgreich zu sein, müssen wir alle seine Hand stärken.
Keine Ergebnisse durch Druck und Gewalt
Es gab dort einige Dialoge und Diskussionen mit Rêber Apo, aber danach wurde bekanntlich zunächst ein dreimonatiges Besuchsverbot für Familienmitglieder und dann ein sechsmonatiges Verbot für Anwältinnen und Anwälte verhängt. Und es gibt Angriffe auf die kommunale Verwaltung. Es ist klar, dass all diese Maßnahmen darauf abzielen, Druck auszuüben. Mit dieser Methode kann kein Ergebnis erzielt werden. Zuallererst muss der Staat die Methode aufgeben, Ergebnisse durch Druck und Gewalt zu erzielen. Ein solches Vorgehen ist weder moralisch noch rechtlich vertretbar; es ist ein unmenschliches Verhalten, das das Vertrauen völlig zerstört. Die Taktik, Druck auf unsere Führung auszuüben, muss aufhören. Es muss erkannt werden, dass es fatale Folgen haben wird, wenn es nicht eingestellt wird.
Wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen
Rêber Apo will den Völkern der Türkei und der Region mit einer historischen Verantwortung dienen und den Weg für die Entwicklung von Freiheit und Demokratie ebnen. Er trägt eine schwere Last. Wir müssen es richtig verstehen und unsere Verantwortung dafür wahrnehmen. Das kann nur durch einen kompetenten, effektiveren und ergebnisorientierten Kampf erreicht werden. Das ist die Schlussfolgerung, die wir aus diesem Prozess ziehen müssen.
Die Guerilla wird weiterbestehen
Solange die Identitätsrechte des kurdischen Volkes nicht anerkannt werden, ist es nicht möglich, die Guerilla aus dem Spiel zu nehmen. Die Guerilla ist die Willenskraft des kurdischen Volkes. Sie ist die strategische Kraft des Freiheitskampfes. Die Guerilla ist die einzige Garantie gegen die Angriffe auf unser Volk in allen Teilen Kurdistans. Sie spielt eine wichtige politische Rolle als unbesiegbare Kraft. Die Guerilla ist nicht nur eine bewaffnete Kraft. Sie leistet einen großen Widerstand für Freiheit und Demokratie im Namen des kurdischen Volkes, des arabischen Volkes und anderer Völker der Region, damit Reaktion, Faschismus und rassistische Denkstrukturen im Nahen Osten nicht siegen. Die Guerilla hat eine ideologische, politische und historische Mission. Solange diese Gefahren für unsere Völker bestehen, wird auch die Guerilla weiter bestehen. Diejenigen, die in dieser Frage falsch denken, sollten die Fakten sehen. Die Freiheitsguerilla Kurdistans kämpft für die Wahrheit, sie vertritt die freiheitlichen demokratischen Kräfte gegen Völkermord und Faschismus. Das ist ihre Rolle und Mission.
Vernichtung und Massaker müssen aufhören
Zweifellos wollen unsere Führung und wir als Bewegung eine Lösung entwickeln, aber zuallererst muss diese Politik des Völkermordes beseitigt werden. Vernichtung und Massaker müssen aufhören. Die Rechte des kurdischen Volkes müssen auf Grundlage der Geschwisterlichkeit der Völker verwirklicht werden, wie sie selbst erklärt haben. Es muss Gleichheit herrschen. Wenn das geschieht, wird sich auch eine Lösung entwickeln.