Istekli: Chemiewaffeneinsätze müssen unabhängig untersucht werden

Der Istanbuler ÖHD-Vorsitzende Gürkan Istekli fordert angesichts der Aufnahmen von Chemiewaffeneinsätzen in Südkurdistan eine unabhängige Untersuchung.

Die Präsidentin der Ärztekammer der Türkei, Şebnem Korur Fincancı, und neun Journalist:innen, die anhand des Filmmaterials von türkischen Chemiewaffenangriffen in Südkurdistan und der Bilder von durch Nervengas sterbenden Guerillakämpfer:innen berichtet und eine unabhängige Untersuchung gefordert hatten, wurden festgenommen und in Ankara inhaftiert. Im ANF-Gespräch äußert sich der Ko-Vorsitzende der Istanbuler Abteilung des Vereins der Rechtsanwält:innen für die Freiheit (ÖHD), Gürkan Istekli, zu den Chemiewaffeneinsätzen und der Kriminalisierung von Forderungen zu deren Untersuchung.

Verhalten des Staates erhärtet Verdacht“

Istekli erinnert daran, dass die Festnahmen und Verhaftungen nach dem Auftauchen von Bildern des Einsatzes chemischer Waffen erfolgt seien. Sie hätten auch dazu gedient, die ernstzunehmende öffentliche Reaktion auf die Aufnahmen einzuschüchtern. Zeitpunkt und Art der Repression würden den Verdacht von Kriegsverbrechen, die vertuscht werden sollen, stärken. Statt diejenigen ins Visier zu nehmen, die eine Untersuchung der Aufnahmen fordern, sollte eine unabhängige und unparteiische Delegation feststellen, ob chemische Waffen eingesetzt wurden oder nicht. „Wenn der Verdacht des Einsatzes dieser Waffen mit eindeutigen und klaren Aussagen ausgeräumt werden kann, dann sollte das geschehen“, erklärt der Anwalt. „Wenn jedoch die Ärztekammerpräsidentin Fincancı und Journalist:innen, die eine Untersuchung fordern, inhaftiert werden, dann gibt es ein ernstes Problem, das den Verdacht erhärtet.“

Istekli fordert, dass die Gesellschaft diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken solle: „Wenn die Situation so weit geht, dass eine Person, die freiwillig aus dem Ausland in die Türkei zurückgekehrt ist und bereit ist, auszusagen, festgenommen und verhaftet wird, verstärkt dies den Verdacht, dass ein Verbrechen begangen wurde, und zeigt, dass versucht wird, es zu vertuschen.“ Fincancı hatte sich zum Zeitpunkt der gegen sie in der Türkei gestarteten Hetzkampagne gegen sie für eine Veranstaltung in Deutschland aufgehalten und war trotz des eingeleiteten Verfahrens wieder nach Istanbul geflogen.

Vorwürfe erinnern an KCK-Verfahren

Hinsichtlich der Verfolgung und Verhaftung von kurdischen Journalist:innen betont Istekli, dass nur die Medien selbst entscheiden können, welche Nachrichten sie veröffentlichen. Der Istanbuler ÖHD-Vorsitzende erinnert daran, dass die Vorwürfe gegen die verhafteten neun Journalist:innen nichts neues seien und das Verfahren an die konstruierten Vorwürfe im KCK-Prozess erinnere. So würden angebliche „Pressekomitees“ als Ableger der PKK erfunden. Damals habe das vor allem die von der Gülen-Gemeinde beherrschte Justiz getan, heute werde diese Taktik ganz offen vom Regime gegen die Opposition und vor allem gegen Kurd:innen eingesetzt. Istekli sagt, dass die Inhaftierung der Journalist:innen völlig unrechtmäßig ist. Er betont, dass die Festgenommenen misshandelt wurden und das Verbrechen der Folter nicht der Verjährung unterliege.

Das Schweigen der Gesellschaft ermutigt das Regime“

Istekli warnt, dass die Unterdrückung und Gewalt durch das Regime zunehme, je näher der Wahltermin rücke. Dies weise darauf hin, dass vieles vor der Gesellschaft verheimlicht werde. Istekli stellt fest, dass es niemanden überrasche, wenn eine Regierung, die auf Unrechtmäßigkeit, Manipulationen und Desinformation beruhe, tyrannische Methoden anwende. Er geht davon aus, dass, die Intensität der Angriffe mit dem Näherrücken der Wahlen noch zunehmen werde. Dagegen müsse Widerstand geleistet werden: „Es darf nicht vergessen werden, dass diejenigen, die diese Gesetzlosigkeit zu verantworten haben, durch das Schweigen der Gesellschaft gestärkt werden. Wie ein Denker es ausdrückte, fürchtet der Faschismus das Licht. Wenn wir unsere Stimme erheben, können wir diese rechtswidrigen Praktiken zurückdrängen. Als Anwält:innen werden wir uns gegen diese willkürlichen Praktiken wehren.“