Das Ministerkomitee des Europarates hat auf seiner vierteljährlichen Sitzung zwischen dem 29. November und 2. Dezember über die Menschenrechtslage in der Türkei beraten. Im Fall des Kulturförderers Osman Kavala wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, hinsichtlich des ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş forderte das Gremium erneut seine Freilassung. Der türkische Verfassungsgerichtshof wurde aufgefordert, umgehend eine Entscheidung im Einklang mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu treffen.
Bezüglich Abdullah Öcalan und weiteren in der Türkei zu einer lebenslänglichen Haftstrafe bis zum Tod verurteilten politischen Gefangenen setzte das Ministerkomitee der Türkei eine Frist bis September 2022 für weitere Informationen. 2014 hatte der EGMR in dem als „Öcalan-2“ bekannten Urteil entschieden, dass Ankara mit der Verhängung einer nicht reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe gegen den Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat. Die verschärfte Form der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie einige Haftbedingungen stellten einen Verstoß gegen das Verbot einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung hat, urteilte das Straßburger Gericht am 18. März 2014. Lebenslänglich Verurteilte müssten zumindest Aussicht auf eine vorzeitige Haftentlassung haben. Die Strafe müsse reduzierbar sein und einer Nachprüfung unterzogen werden können. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.
Hunko: Mein Besuchsantrag wird ignoriert
Unterdessen wächst die Sorge um Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen auf der Gefängnisinsel Imrali. Trotz der EGMR-Entscheidungen und der Empfehlungen des Antifolterkomitees im Europarat haben die Imrali-Gefangenen keinen Kontakt zur Außenwelt, seit März gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihnen. Selbst ihr Rechtsbeistand und ihre Angehörigen können nicht mit ihnen kommunizieren. Von den türkischen Behörden wird das Kontaktverbot mit Disziplinarstrafen begründet. Um die rechtswidrige Isolation zu durchbrechen, haben inzwischen die Anwaltskammer Diyarbakir und die HDP-Abgeordneten Fatma Kurtulan und Hüseyin Kaçmaz als Mitglieder des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses ebenfalls Besuchsanträge gestellt.
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und hat sich gegenüber ANF zu der Isolation auf Imrali und den jüngsten Beschlüssen des Ministerkomitees geäußert: „Leider wurde mein wiederholter Besuchsantrag, Imrali zu besuchen und mir ein Bild zu machen, bislang von den türkischen Behörden ignoriert. Nach allen mir verfügbaren Informationen sind die dortigen Haftbedingungen inhuman und nicht vereinbar mit den Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das jüngste Kontaktverbot für Abdullah Öcalan zu seinen Anwälten und seiner Familie ist inakzeptabel.“
„Öcalan könnte erheblich zu einer Lösung beitragen“
Hunko erklärte weiter: „Das Ministerkomitee des Europarates hat dieser Tage eine kritische Stellungnahme zur lebenslangen Haft ohne Möglichkeit der Überprüfung dieser Haftstrafe, wie es in anderen Ländern des Europarates üblich ist, beschlossen. Die Türkei wird darin aufgefordert, baldigst einen solchen Überprüfungsmechanismus zu ermöglichen. Parallel wurde ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Missachtung des EGMR-Urteils im Fall Kavala eingeleitet. Ich begrüße diese Entscheidungen. Wichtig wäre jetzt, dass die Mitgliedsstaaten des Europarates, vor allem Deutschland, die privilegierte Kooperation mit der türkischen Regierung im militärischen, polizeilichen, justiziellen und geheimdienstlichen Bereich einstellen.“
Zur besonderen Bedeutung von Abdullah Öcalan erklärte Hunko, dass seine Freilassung „erheblich zu einer friedlichen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts beitragen“ könne. Von einer solchen Lösung würden am Ende alle Seiten profitieren.
Deutsche Bundesregierung muss Konsequenzen ziehen
Die Entscheidung des Ministerkomitees des Europarats, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei wegen der Nicht-Umsetzung des EGMR-Urteils zum Fall Kavala einzuleiten, bezeichnet Hunko als richtig. Die Türkei, seit 1950 Mitglied des Europarats, habe die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert und sich verpflichtet, die Urteile des Straßburger Gerichtshofs umzusetzen. Der EGMR hat in letzter Instanz die sofortige Freilassung Osman Kavalas gefordert.
Dazu erklärt Hunko: „Spätestens mit der nun festgestellten Missachtung des EGMR-Urteils durch die Türkei entfällt auch die Basis der privilegierten Kooperation im militärischen, justiziellen, polizeilichen und geheimdienstlichen Bereich zwischen Deutschland und der Türkei. Die Bundesregierung kann nicht einerseits dem Vertragsverletzungsverfahren zustimmen und andererseits an dieser privilegierten Kooperation festhalten. Am Ende des Vertragsverletzungsverfahrens stehen dem Europarat bei fortgesetzter Missachtung des Gerichtshofs durch die Türkei verschiedene Optionen zur Verfügung, etwa die Suspendierung der Mitgliedschaft im Ministerkomitee. Dies hätte den Vorteil, dass der Dialog in der parlamentarischen Versammlung aufrechterhalten werden könnte. Wünschenswerter ist allerdings die sofortige Freilassung von Kavala und dem Fraktionsvorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtas, dessen Freilassung ebenfalls vom EGMR letztinstanzlich angeordnet wurde.“