Hunderttausende bei Newroz-Feier in Istanbul

Mit einem großen Fest in Istanbul sind die diesjährigen Newroz-Feierlichkeiten in der Türkei zu Ende gegangen. Mit Blick auf die Verhaftung Imamoğlus wurde betont: „Die Demokratie zu verteidigen ist nicht nur Aufgabe der Kurd:innen, sie geht uns alle an.“

Politisches Signal für Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung

Mit einer Großveranstaltung in Istanbul sind die diesjährigen Newroz-Feierlichkeiten in der Türkei zu Ende gegangen. Die zentrale Kundgebung auf dem Veranstaltungsgelände im europäischen Hafenviertel Yenikapı wurde vom Demokratischen Kongress der Völker (HDK) organisiert und maßgeblich von der DEM-Partei getragen.

Am Eingang wurden die Teilnehmenden einer intensiven Kontrolle durch die türkische Polizei unterzogen. Viele Gruppen vertrieben sich die Zeit mit Govend-Tänzen. Nach der Einlassphase füllte sich das mit Fahnen der DEM, Wimpeln in den kurdischen Farben Rot, Gelb und Grün sowie Bannern mit der Aufschrift „Newroz azadî ye“ (Newroz bedeutet Freiheit) geschmückte Gelände mit einer Vielzahl von Menschen. Unter traditionellen Melodien tanzten Menschen den Govend – ein Zeichen kollektiver Freude und kultureller Verbundenheit.

Politische Botschaften im Zentrum

Die Feierlichkeiten begannen mit einer Schweigeminute. Es folgten Grußworte der Veranstaltungsleitung und des Istanbuler Provinzverbands der DEM. Dessen Ko-Vorsitzende Arife Çınar betonte: „Wir kämpfen für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Wir feiern das Newroz von Herrn Abdullah Öcalan, der einen historischen Aufruf für den Frieden gemacht hat. Gemeinsam mit den Völkern der Türkei werden wir für Demokratie eintreten und allen undemokratischen Praktiken entgegentreten.“

Ihr Ko-Vorsitzender Çınar Altan fügte hinzu: „Wir feiern das Newroz all jener Völker, die gemeinsam mit dem ehrenwerten kurdischen Volk im Widerstand stehen. Unsere Völker geben Freund wie Feind eine klare Antwort.“

Deutliche Kritik an Repression und Entdemokratisierung

Während der Veranstaltung wurde auch die gemeinsame Erklärung der „Kräfte für Arbeit, Frieden und Demokratie“ verlesen. In der Rede, gehalten von Nehir Sevim, wurde auf soziale Ungleichheiten, die Erosion der akademischen Freiheit, die Einschränkungen politischer Teilhabe sowie auf die massive Repression gegen demokratisch gewählte Vertreter:innen hingewiesen. Die Praxis der Zwangsverwaltung, mit der gewählte Bürgermeister:innen von der Regierung abgesetzt werden, wurde als „Putsch gegen den Volkswillen“ bezeichnet.

„Wir sind Millionen und werden niemals kapitulieren“, hieß es in der Erklärung. Der Geist des Newroz stehe für Widerstand gegen Unterdrückung und sei ein Symbol für den Kampf um Freiheit.


Gültan Kışanak: „Heute schreibt ihr Geschichte“

Ein bewegender Moment der Feier war die Rede von Gültan Kışanak, Aktivistin der Bewegung freier Frauen (TJA) und ehemalige Oberbürgermeisterin von Amed (tr. Diyarbakır). „Heute schreibt ihr Geschichte. Die Kurd:innen stehen überall auf und fordern ihre Freiheit“, sagte sie. Kışanak forderte die Freilassung von Abdullah Öcalan sowie die Öffnung des politischen Dialogs: „Öcalans Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft muss ernst genommen werden. Die Bedingungen dafür müssen endlich geschaffen werden.“

Grußbotschaft von Özgür Özel

Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel sandte eine Grußbotschaft zum Newroz-Fest. Darin richtete er sich mit einem eindringlichen Appell an die Bevölkerung: Er betonte den gemeinsamen Wunsch nach Freiheit, Gleichheit und Demokratie und rief zu solidarischem Widerstand gegen autoritäre Entwicklungen auf. Özel kritisierte scharf die jüngste Inhaftierung von Ekrem Imamoğlu, die er als politischen Putschversuch und Angriff auf den Volkswillen wertete.

Er hob hervor, dass die Solidarität zwischen Kurd:innen, Türk:innen und anderen gesellschaftlichen Gruppen durch repressive Maßnahmen nicht zerstört werden könne: „Niemand kann uns davon abhalten, gemeinsam zum Halay der Freiheit zu tanzen.“ Für ihn sei Istanbul die Stadt aller – unabhängig von ethnischer Herkunft, Religion oder politischer Gesinnung.

Mit Blick auf eine gerechte und demokratische Zukunft erklärte Özel: „Wir sind das Volk – Millionen, die sich nach Freiheit sehnen. Der Tag, an dem wir alle gemeinsam den Tanz der Freiheit tanzen, ist nah.“ Dabei schloss er symbolisch auch politische Gefangene wie Ekrem Imamoğlu, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ mit ein.

        

Bakırhan: „Öcalans Ruf ist eine Chance für ganz Türkei“

Tuncer Bakırhan, Ko-Vorsitzender der DEM-Partei, sprach vor mehreren hunderttausend Teilnehmenden und stellte klar: „Dieses Newroz ist historisch. Herr Abdullah Öcalan hat den Weg zum Frieden geebnet. Sein Aufruf zur Demokratisierung betrifft uns alle – Alevit:innen, Frauen, Jugendliche, Arbeiter:innen, Rentner:innen, die Unterdrückten. Diese Chance darf nicht verspielt werden.“

Bakırhan betonte, dass das Land nicht länger mit Repression und autoritärer Politik regiert werden könne: „2025 muss ein Jahr des Wandels werden. Die Türkei muss sich von einem Staat, der auf Operationen, Verhaftungen und Verboten basiert, zu einem demokratischen und pluralistischen Gemeinwesen entwickeln. Die Menschen haben genug von Ausnahmezuständen und willkürlicher Justiz.“ Scharfe Kritik äußerte er an der Inhaftierung von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu und weiteren Oppositionellen: „Was wir erleben, ist ein politischer Coup. Niemand darf das Justizsystem als Waffe gegen gewählte Vertreter:innen einsetzen. Diese sogenannten juristischen Schritte sind nichts anderes als ein stiller Putsch – ein Angriff auf den Willen des Volkes.“

Besonders deutlich wurde Bakırhan in seiner Kritik an der Praxis der Zwangsverwaltung: „Mit Treuhändern, mit Unterdrückung, mit Kriminalisierung wird niemand dieses Volk brechen. Unsere Antwort ist klar: Wir sind viele, wir sind entschlossen und wir kämpfen für unsere Rechte. Die Zeit des Schweigens ist vorbei.“ Er erinnerte daran, dass Kurd:innen seit Jahren eine Vorreiterrolle in der Verteidigung der Demokratie einnehmen, oft unter großen persönlichen Opfern:

„Wir sind und waren die häufigsten Opfer von zivilen Putschs. Namen wie Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ, Leyla Güven, Ayşe Gökkan – sie alle sitzen im Gefängnis, weil sie für Freiheit und Gerechtigkeit stehen. Und dennoch: Wir werden uns niemals beugen.“ Bakırhan wandte sich direkt an die Regierung in Ankara: „Herr Öcalans Aufruf ist keine Bedrohung – er ist eine historische Möglichkeit. Ein Weg aus der Krise, ein Weg zu einer echten Versöhnung zwischen den Völkern der Türkei. Er hat das Tor zur Demokratie aufgestoßen. Wer diese Gelegenheit nicht nutzt, trägt Verantwortung für alles, was folgt.“

Abschließend rief er dazu auf, die Stimme der Straße, der Jugend, der Frauen und der Arbeiter:innen nicht zu ignorieren: „Die Zeit des autoritären Ein-Mann-Regimes ist vorbei. Die Gesellschaft hat sich verändert, sie verlangt nach Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Frieden. Und wir werden diesen Wandel gemeinsam gestalten – auf den Straßen, in den Parlamenten, in den Herzen der Menschen. Das ist erst der Anfang. Dies ist unser Aufbruch.“

Gülistan Sönük: „Demokratie verteidigen ist Sache aller“

Gülistan Sönük, die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Êlih (Batman), machte in ihrer Rede deutlich: „Heute erleben wir auch in Istanbul, was in Kurdistan geschieht. Die Angriffe auf die Demokratie betreffen inzwischen das ganze Land. Demokratie zu verteidigen ist nicht nur Aufgabe der Kurd:innen – sie geht uns alle an.“

Die Veranstaltung endete mit einem Konzert von Künstler Kadir Çat und wurde unter den Rufen „Bijî Serok Apo“ („Es lebe der Vorsitzende Apo“) abgeschlossen.