In mehreren Städten in der Türkei ist am Sonntag gegen die Inhaftierung von Semra Güzel protestiert worden. Die HDP-Abgeordnete befindet sich seit dem Vortag aufgrund eines Verfahrens wegen des Verdachts „Landesverrat“ und angeblicher PKK-Mitgliedschaft in Haft. Ausgangspunkt für die Vorwürfe ist eine medial aufwendige und vom türkischen Innenminister gelenkte Diffamierungskampagne gegen Güzel, in deren Zentrum Fotos stehen, die sie mit ihrem ehemaligen Verlobten, einem mittlerweile gestorbenen Guerillakämpfer, zeigen. Damit der Weg frei wird für eine Anklage gegen die 38-Jährige, wurde in der türkischen Nationalversammlung im März das umstrittene Gesetz zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität eingesetzt. Seitdem wurde nach Güzel gefahndet – offiziell, weil sie einer Vorladung zur Befragung nicht Folge geleistet hätte.

„Die Verhaftung von Semra Güzel stellt nur eines von vielen konkreten Beispielen für die Untergrabung des politischen Willens des Volkes und vor allem von uns Frauen durch diese Regierung dar“, sagte die Istanbuler HDP-Vorsitzende Ilknur Birol am Sonntag bei einer Kundgebung vor dem polizeilich abgeschirmten Provinzverband ihrer Partei. Die „eindeutig politisch motivierte Konstruktion von Straftatbeständen“, die schon eine oberflächliche Betrachtung auf den Fall Güzel zeige, belege, dass dieser „Coup“ nicht unabhängig von den Bemühungen Ankaras sei, den politischen Einfluss der HDP zu brechen.

Birol: Die Herrschenden fürchten sich vor Frauen

„So wundert es uns nicht, dass sich solche gänzlich illegalen Methoden gegen eine Frau aus unseren Strukturen und damit einer Vertreterin des Frauenbefreiungskampfes richten“, führte Birol weiter aus. Der türkische Staat stelle sich stets außerhalb des geltenden Rechts, wenn es darum gehe, den Willen von Frauen zu untergraben. „Denn Frauen sind der Motor für die gesellschaftliche Veränderung. Sie sind die Kraft und Konstrukteurinnen eines neuen Lebens. Und besonders in einem Land wie der Türkei mit einer zutiefst patriarchalen Machtelite wird die starke Frau als Gefahr angesehen. Deshalb widmet sich die Politik der Herrschenden dem Ansatz, den von Frauen geführten Kampf für Freiheit und Gleichberechtigung zu zerschlagen. Dieser Mentalität stellen wir uns gestern wie heute entschieden entgegen.“

Weitere Proteste angekündigt

An der Kundgebung in Istanbul beteiligten sich auch die HDP-Abgeordneten Musa Piroğlu, Garo Paylan und Ali Kenanoğlu. Auch Aktivistinnen der Initiative der Friedensmütter und anderer Organisationen wie etwa der kurdischen Frauenbewegung TJA waren vor Ort. In den kurdischen Städten Amed (tr. Diyarbakır), Riha (Urfa) und Agirî (Ağrı) sowie in Çanakkale in der westtürkischen Marmara-Region gab es ebenfalls Proteste gegen die Inhaftierung von Semra Güzel. Diverse Frauenverbände und die HDP-Strukturen kündigten weitere Aktionen in zahlreichen Städten des Landes an.