HDP beschließt ununterbrochene Aktionen

Mit ununterbrochenen Aktionen wird ab heute in Nordkurdistan und der Türkei gegen die Politik der Zwangsverwaltung protestiert. Der Startschuss fällt zeitgleich in den kurdischen Großstädten, denen staatlich eingesetzte Treuhänder zugewiesen wurden.

Eine nach der Absetzung der Oberbürgermeister*innen der drei kurdischen Großstädte Amed (Diyarbakir), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van) von der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Ankara einberufene außerordentliche Sitzung des Exekutivrats ging am frühen Montagabend mit dem Beschluss zu Ende, mit ununterbrochenen Aktionen landesweit gegen die Politik der Zwangsverwaltung zu protestieren. Der Startschuss dazu fällt am heutigen Dienstag um 11 Uhr in den drei Metropolen, denen staatlich eingesetzte Treuhänder zugewiesen wurden.

Auf der Gremiumssitzung befasste sich die gesamte HDP-Fraktion eingehend mit verschiedenen Formen demokratischen und legitimen Handels. Insbesondere stachen Aktionsformen wie Mahnwachen und Sitzstreiks gegen die von der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP wiedereingeführten Zwangsverwaltung hervor. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Ausdrucksart der geplanten Proteste gelegt. Die HDP einigte sich auf den Einsatz einer „Sprache der Demokratie und des Friedens” und entschied, im Rahmen der Aktionen die Strategie „In den kurdischen Regionen die Zwangsverwalter und im Westen die AKP stürzen“ zu verfolgen. Mit dieser Strategie hatte die HDP bereits bei den Kommunalwahlen vom 31. März Erfolg.

HDP: Widerstandsfront wird erweitert

Nach der Sitzung wurde in einem abschließenden Statement angekündigt, allen antidemokratischen und rechtswidrigen Angriffen der Regierung mit einer demokratischen Politik entgegenzutreten und den Kampf für Frieden und Demokratie nach wie vor entschlossen fortzusetzen. Außerdem hieß es: „Die machthabende Politik, welche die Beseitung aller demokratischen Strömungen und Grundlagen zu ihrem politischen Stil erkoren hat, hat erneut unsere Kommunalverwaltungen in Van, Mardin und Amed an sich gerissen. Diese Macht, die ihre rechtliche Legitimität verloren hat, versetzt dem Willen des Volkes weiterhin schwere Schläge. Darüber hinaus sind hunderte unserer Stadtratsmitglieder, HDP-Mitarbeiter und Angestellte der Stadtverwaltungen festgenommen worden, die Operationen dauern weiterhin an. Wir als HDP werden gegen diesen politischen Putsch nicht schweigen und unsere Widerstandsfront erweitern.“

Als erster Schritt zu legitimen und antiautoritären Reaktionen gegen die Politik der Zwangsverwaltung wurde beschlossen, Mahnwachen vor den HDP-Provinzverbänden in Amed, Mêrdîn und Wan abzuhalten. An den Aktionen werden die Parteivorsitzenden, alle Ko-Vorsitzende der Provinz- und Kreisverbände, Abgeordnete, Parteiratsmitglieder sowie die Mitglieder der Frauen- und Jugendräte der HDP teilnehmen.

Zum Hintergrund:

Rund fünf Monate nach den Kommunalwahlen hat die AKP-Regierung die Bürgermeister von Amed und Mêrdîn, Adnan Selçuk Mızraklı und Ahmet Türk, sowie die Bürgermeisterin von Wan, Bedia Özgökçe Ertan, ihres Amtes enthoben. Die HDP-Politiker waren am 31. März mit 63, 56 und 54 Prozent der Stimmen gewählten worden. Nun wird ihnen nach Angaben des Innenministeriums in mehreren Ermittlungsverfahren „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation” und „Terrorpropaganda” vorgeworfen. Konkret sollen die Betroffenen ihre Bürgermeisterposten für die Unterstützung von Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) genutzt haben. Unter anderem hätten sie angeblich versucht, öffentliche Gelder an die PKK zu leiten. Zudem werden sie beschuldigt, mit dem Prinzip der Doppelspitzen, das die HDP auf allen Ebenen verfolgt, auf Anordnung der PKK eine nicht verfassungsmäßige politische Struktur eingeführt zu haben, die vom Ganzen des Landes abweicht. Desweiteren seien in den Verwaltungen Personen eingestellt worden, deren Angehörige wegen PKK-Kontakten im Gefängnis sitzen. Die Anklagen gegen die abgesetzten Bürgermeister gehen teilweise auf ihre Zeit als Abgeordnete in früheren Jahren zurück.

Altbekannte Strategie

Die HDP erklärte, dass die Begründung für die Zwangsverwaltung vollkommen erfunden sei. Die Maßnahme zeige die feindliche Haltung zum erklärten politischen Willen des kurdischen Volkes. Das Innenministerium mache sich damit zum Zentrum eines Putsches, mit dem Rechte und Freiheiten usurpiert und Entscheidungen getroffen werden, die keine Spur von Demokratie aufweisen.

Die Absetzungen und die Festnahmewelle erinnern an das Vorgehen der Regierung kurz nach dem sogenannten Putschversuch im Juli 2016. Damals waren im Zuge des Ausnahmezustands 98 von 102 Bürgermeister der HDP in kurdischen Städten abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt worden. Viele von ihnen wurden daraufhin inhaftiert. Die Wiederholung dessen hatte Erdogan in diesem Jahr schon im Kommunalwahlkampf angedroht: Jeder Kandidat, der Verbindungen zu „Terrororganisationen” aufweise, werde im Falle seiner Wahl wieder abgesetzt, kündigte der AKP-Chef an.

In der Zeit der Zwangsverwaltung sind in den betroffenen drei Großstädten und den anderen Kommunalverwaltungen alle Ressourcen aufgebraucht worden. Die staatlichen Treuhänder haben der HDP einen Trümmerberg hinterlassen. Durch die Zwangsverwaltung sind die Rathäuser zu Zentren der Korruption und des Diebstahls gemacht worden. Die HDP glaubt, dass die Regierung und das Innenministerium verhindern wollen, dass die während der Zwangsverwaltung erfolgten Regelverstöße und die Korruption aufgedeckt werden. Die lokale militärische und zivile Bürokratie habe diese Korruption unterstützt, weil sie selbst davon profitierte.