Hannover erinnert mit 800 Menschen an Hanau

Aus Anlass des dritten Jahrestages der rassistischen Morde in Hanau ist auch in Hannover an die Getöteten erinnert worden. Aufgerufen zu dem Gedenken hatte das Migra-Bündnis Hannover, teilgenommen haben rund 800 Menschen.

Seit 2020 haben sich überall in Deutschland neue Initiativen gegründet, die gegen Diskriminierung und Rassismus aktiv sind und rassistische Morde nicht weiter hinnehmen. Auch in Hannover bildete sich ein solches Bündnis. Seitdem gibt es jährliche Gedenkaktionen und öffentliche Auftritte.

In der Gedenkstätte Ahlem wurde in einer Talkrunde „#alleerinnern – 3. Jahrestag des Anschlags in Hanau“ über die Hintergründe und Folgen des Anschlages in Hanau diskutiert. Gemeinsame Perspektiven sind erörtert worden und es wurde zur Gedenkdemo aufgerufen. Auch wurde zur Geldspendensammelaktion von Heyva sor a Kurdistanê im Talk aufgerufen, um die Betroffenen in der Erdbebenregion in Kurdistan zu helfen.

Am Sonntag, den 19. Februar, kamen um 14 Uhr rund 800 Menschen auf dem Halim-Dener-Platz in Hannover im Stadtbezirk Linden unter dem Motto „Hanau - KEIN VERGEBEN - KEIN VERGESSEN!" zusammen. Auf dem Halim-Dener-Platz wurde in der Federführung von Fem Migra ein großes Mahnmal errichtet mit einem Meer an Kerzen, um den Getöteten zu gedenken. Nach der Schweigeminute setzten sich die Menschen in Bewegung. Die Wut auf den Staat wurde lautstark auf die Straße getragen. Parolen wie „Alle zusammen gegen den Faschismus", „Halle, Hanau, Celle – das sind keine Einzelfälle", „Widerstand überall – Hanau war kein Einzelfall", „Halim Dener, das war Mord – Widerstand an jedem Ort" und „Hoch die internationale Solidarität" wurden immer wieder laut gerufen.

Die Demonstration führte mit einem kraftvollen Frontblock bestehend unter anderem aus migrantischen und jüdischen Personen über eine Zwischenkundgebung am Küchengartenplatz bis zum Opernplatz. Klare Kritik an den Staat und seine Politik wurden im Vergleich zu Jahren zuvor in allen Redebeiträgen sehr deutlich hervorgehoben. „Wir fordern lückenlose Aufklärung!", hieß es immer wieder.

Die Redebeiträge, unter anderem vom Migra-Bündnis Hannover selbst, der liberalen Jüdischen Gemeinde, der feministisch-migrantischen Gruppe Fem Migra, Nav-Dem (Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurd:innen in Hannover) und der feministischen Organisation Gemeinsam Kämpfen erinnerten gleichermaßen an den fehlenden Willen und die Versäumnisse von Staat, Justiz und offizieller Politik, die Geschehnisse um das Attentat in Hanau aufzuarbeiten und die Hintergründe lückenlos aufzuklären. Es wurde hingewiesen auf die Kontinuität von rassistischen Strukturen im Nachgang des Attentats, etwa indem die Angehörigen des getöteten Vili Viorel Păun erst sehr viel später von den Behörden über dessen Tod in Kenntnis gesetzt wurden, oder auch die sogenannten Gefährderansprachen, die es nach der Tat bei den Angehörigen oder Überlebenden des Anschlags gab in Verbindung mit Warnungen, keine Rache zu nehmen.

Die Politik wurde aufgefordert, ihrer Verantwortung nachzukommen und eine lückenlose Aufklärung zu ermöglichen und nicht Akten mehrere Jahrzehnte lang unter Verschluss zu halten. Dies sei keinesfalls mit dem gesellschaftlichen Gewissen vereinbar und sei vergleichbar mit der Politik in anderen europäischen Staaten wie Frankreich. Auch in der Türkei, Iran, Afghanistan etc. seien solche Praktiken an der Tagesordnung und bereits längst bekannt.

Auch nach dem Attentat in Paris von 2013, bei dem drei kurdische Frauenaktivistinnen ermordet wurden, und dem jüngsten Anschlag von 2022, bei den drei weitere kurdische Aktivist:innen, darunter Evîn Goyî, die von einem rechtsextremen Täter erschossen wurden, sind französische Behörden, die Politik und der Staat nicht gewillt, für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen. Diese Parallelen gibt es zur Türkei unter dem Erdogan-AKP-MHP-Regime, dem Assad-Regime, aber auch in der BRD. Richtung Zivilgesellschaft kamen mahnende Worte, der Verantwortung in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft gerecht zu werden und sich selbst nach dem Vorbild der Frauenrevolution in Rojava und im Iran/Rojhilat zu organisieren.

Kurz vor der Zwischenkundgebung am Küchengarten und auf der Abschlusskundgebung am Opernplatz gab es faschistische Angriffe auf die Demonstrierenden. Aus einem Fenster eines Hauses heraus wurden Steine auf die Teilnehmer:innen der Demonstration geworfen. Und auf der Abschlusskundgebung beschwerte sich ein Rechtsextremer über die Sinnhaftigkeit der Aktion und zeigte den Mittelfinger. Bei den Angriffen wurde zum Glück niemand verletzt, sie zeigen jedoch erneut, dass Deutschland ein großes Rassismus-Problem hat.

Auch wurden auf der Demonstration Geldspenden für die Betroffenen der Erdbebenkatastrophe in Kurdistan gesammelt. Für den Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) wurden Spendendosen herumgereicht. 722 Euro sind das Ergebnis der erfolgreichen Spendenaktion gewesen. Der gesammelte Betrag wird auf das Bankkonto der Hilfsorganisation überwiesen.

Im Anschluss der Demonstration trafen sich Aktivist:innen zu einem gemeinsamen stillen Gedenken im Schauspielhaus Hannover in der Cumberlandschen Galerie bei der Cumberlandsche Bühne, um beieinanderzusitzen, eine warme Suppe und Kuchen zu essen, Tee zu trinken und sich gemeinsam auszutauschen.