Hamburg: Gemeinschaftlicher Widerstand gegen Repression

Tausende Menschen sind in Hamburg auf die Straße gegangen, um gemeinschaftlich Widerstand gegen Repression zu leisten. Anlass war der Beginn eines Verfahrensmarathons gegen die G20-Proteste vor dreieinhalb Jahren.

Ungefähr 3200 Menschen sind in Hamburg aus Solidarität mit den „Rondenbarg“-Angeklagten auf die Straße gegangen. Mehr als 100 linke Gruppen und Organisationen der Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ hatten zu einer bundesweiten Demonstration gegen Repression aufgerufen. Dreieinhalb Jahre nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg hat in der Hansestadt am 3. Dezember ein Verfahrensmarathon begonnen, bei dem 75 Personen angeklagt sind. 19 der Angeklagten waren zum Tatzeitpunkt unter 21 Jahre alt.

Tausende Menschen waren aus dem ganzen Bundesgebiet angereist, um ihre Solidarität gegen die Repression im Fall der „Rondenbarg“-Angeklagten zu zeigen. Die Demonstration erinnerte an die radikale Linke in den 1980er und 1990er Jahren, als man noch vermummt und in Ketten auf Demonstrationen ging. In Redebeiträgen wurde betont, dass es eine ständige solidarische Praxis braucht, denn „die Repression soll verunsichern. Wir sitzen nicht alle im selben Boot“. Ganz klar wurde die kapitalistische Ordnung als Verursacher von Krieg, Pandemie und Armut benannt. Vielfach wurden internationalistische und antifaschistische Parolen gerufen.

Hamburger Kurdinnen und Kurden nahmen mit Fahnen von YPJ/YPG und einem Solidaritäts-Transparent für die erneut von einem Genozid bedrohten Ezid*innen in Şengal an der Demonstration teil. Im Aufruf hieß es: „Es geht um ein klares Zeichen gegen Vereinzelung und Passivität für eine praktische und kollektive Solidarität – das muss heißen nicht nur über Stadtgrenzen hinweg zusammenzustehen, sondern auch in gemeinsamer Aktion auf der Straße!“

 

Angriff auf die Demonstrationsfreiheit

Im Vorfeld hatte das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz vor der Beteiligung an der Demonstration gewarnt: „Wer an dieser Versammlung teilnimmt, macht sich mit gewaltorientierten Linksextremisten gemein.“ Somit wurden Teilnehmer*innen, die sich für die Versammlungsfreiheit einsetzen, als Extremist*innen diffamiert.

Dazu äußerte die ehemalige Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft, Christiane Schneider: „Die Versammlungsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht. Es ist inakzeptabel, wie die Staatsanwaltschaft einerseits noch jedes Verfahren gegen rechtswidrige Polizeigewalt bei G20 einstellt und andererseits das Begehren des Polizeiapparates, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit weiter einzuschränken, eilfertig und mit großem Aufwand umzusetzen versucht“.

Vorgeschichte: Polizeieinsatz gegen G20-Proteste

Am Morgen des 7. Juli 2017 waren in der Straße Rondenbarg in einem Gewerbegebiet in Hamburg-Bahrenfeld etwa 150 bis 200 überwiegend junge Menschen von einer Hundertschaft der berühmt-berüchtigten Bundespolizeieinheit Blumberg und zwei Wasserwerfern gestoppt worden. 73 Jugendliche wurden festgenommen und teilweise brutal zusammengeschlagen, nachdem einige Steine und Leuchtmunition in Richtung der Polizist*innen geworfen worden waren, ohne dass einer der Gegenstände traf.

In die Falle der Bundespolizeieinheit Blumberg getappt

In dem Buch „Das war der Gipfel“ berichtet eine Betroffene: „Der Angriff der Polizei am Rondenbarg kam für uns aus dem Nichts. Im Nachhinein wurde uns klar, dass es eine Falle war: Wir sollten in diese menschenleere Straße laufen, verprügelt und unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruches verhaftet werden. Viele Betroffene berichten, sie hätten sich gefühlt, als seien sie überfallen und gekidnappt worden. Auch nach über einem Jahr berichten viele derjenigen, die damals dabei waren, von Schlafstörungen, von Angstattacken und Vermeidungsverhalten. Sie durchleben die Szenen am Rondenbarg immer wieder und haben ständig Angst davor, noch einmal verhaftet zu werden. Insbesondere das, was wir im Gefängnis erlebt haben, hätten wir in Deutschland niemals für möglich gehalten: Wir mussten uns während unserer Gewahrsamnahme mehrfach nackt ausziehen und von Beamten durchsuchen lassen, uns wurden Telefonate und Gespräche mit Anwälten verwehrt, wir verbrachten mehr als 24 Stunden in den ständig beleuchteten und kahlen Zellen der Gefangenensammelstelle (GeSa) und wurden zum Teil mehrfach, auch nachts, in verschiedene Justizvollzugsanstalten verlegt. Wir bekamen weder Hygieneartikel noch trockene Kleidung. Polizeibeamte verhöhnten und beleidigten uns und wir wurden verbal und körperlich erniedrigt. In der GeSa kam es zu unverhältnismäßiger Gewalt – Gefangenen wurde Prügel angedroht und es wurde auch zugeschlagen."

Keine Schramme bei der Polizei, schwer verletzte Jugendliche

Das Ergebnis des Polizeiangriffs am Rondenbarg: 73 Festnahmen und 14 Menschen im Krankenhaus, mit teilweise offenen Brüchen, angeknacksten Halswirbeln, Stauchungen. Auf Seiten der Polizei gab es keine Schramme. Angeklagt sind jedoch die Demonstrant*innen.

Die Begründung: Erst das gemeinsame Auftreten mit „einheitlichem Erscheinungsbild“ habe die Demonstration zu einem „geplanten Zusammentreffen“ mit dem Ziel „gemeinsam Straftaten zu begehen“ gemacht. Der umstrittene „Hooligan-Paragraph“ soll jetzt auf Demonstrationen angewandt werden.

Präzendenzfall

Setzt sich diese Rechtsauffassung durch, könnten zukünftig alle, die an einer Demonstration teilgenommen haben, aus der heraus Straftaten begangen wurden, für alle Ausschreitungen rechtlich verantwortlich gemacht werden, selbst wenn sie an diesen nachweislich nicht beteiligt waren. Im vorangegangenen „Elbchaussee-Verfahren“ scheiterte die Anklage weitgehend mit dieser Rechtsdeutung. Die Kammervorsitzende Anne Meier-Göring wies die Behauptung der Staatsanwaltschaft zurück, es habe einen gemeinsamen Tatplan gegeben, aufgrund dessen alle Demonstrationsteilnehmer für jede aus dem Zug heraus verübte Straftat verantwortlich sei.

Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Im Prozess vor der Großen Strafkammer des Landgerichts sind bisher drei junge Frauen und zwei Männer angeklagt. Am ersten Verhandlungstag wurde nur die Anklage verlesen. Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da die Angeklagten zum Tatzeitpunkt 16 und 17 Jahre alt waren. Die Verteidigerin Fenna Busmann erklärte, dies diene nicht dem Schutz der Angeklagten, sondern solle das Verfahren von einer kritischen Öffentlichkeit abschirmen. Die Anklage wolle zurück zur Lesart des Landfriedensbruchs vor der Reform des Paragraphen, so die Rechtsanwältin. Bis 1970 wurde jeder bestraft, der an einer „Zusammenrottung“ teilnahm, die den „öffentlichen Frieden“ störte.

G20: Türkei, die Rojava angegriffen hat, sitzt am Tisch

Vergessen wird rund um den Prozess oft der Grund für den Protest: Der Angeklagte Yannik äußerte sich in einem Interview: „Da sitzt die Türkei am Tisch, die Rojava angegriffen hat, und Deutschland und Frankreich, die in die ganze Welt Waffen exportieren. Es geht ihnen immer darum, Rohstoffe und Absatzmärkte zu erschließen. Die G20 sind der greifbarste Ausdruck des Kapitalismus und der Konkurrenz untereinander. Dass so was Protest verdient, war für mich selbstverständlich.“